Berlin (dpa) - Die Geständnis-Welle seiner ehemaligen Teamkollegen könnte dem unter Betrugsverdacht stehenden Jan Ullrich entgegenkommen, doch der untergetauchte Ex-Radstar bleibt seiner Verteidigungslinie treu.
Während ein Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft die Bekenntnisse von mittlerweile sieben ehemaligen Mitstreitern Ullrichs als möglicherweise sogar entlastend für Ullrich darstellte, legte der 33-Jährige durch seine Anwälte erneut Widerspruch gegen die Überstellung von Beweismitteln an die deutsche Justiz ein. Ullrichs ehemaliger Heimtrainer Peter Becker forderte den schweigenden Wahl-Schweizer unterdessen endlich zum Reden auf. «Ich erwarte ganz einfach eine Stellungnahme von Jan, so rum oder so rum», sagte der Berliner.
«Was wirklich passiert ist? Der Jan könnte es sagen, wenn er es sagen will», sagte Ullrichs früherer Coach dem Nachrichtensender «N24». Über die Leistungsexplosion von Ullrich habe er sich selbst auch gewundert, räumte Becker ein: «Wenn er hoch und heilig verspricht, er macht das nicht; verdammt noch mal, kann man denn gar keinem trauen?»
Sein ehemaliger Kapitän Bjarne Riis, der sich bei einer Pressekonferenz in Kopenhagen als Doping-Sünder outete, riet Ullrich «genau das zu machen, was für ihn das Beste ist». Er wisse «überhaupt» nicht, ob Ullrich gedopt habe, sagte der Tour-de-France- Sieger von 1996.
Dass viele seiner ehemaligen Team-Telekom-Kollegen - Riis, Erik Zabel, Bert Dietz, Christian Henn, Udo Bölts, Rolf Aldag und Brian Holm - nun auspackten, könnte sich für den schweigenden Rostocker indes als vorteilhaft erweisen. «Wir haben eine neue Entwicklung, die in die Ermittlungen einfließen muss», sagte der Sprecher der Bonner Staatsanwaltschaft, Jörg Schindler. Sollte sich herausstellen, dass weitere Fahrer und vielleicht auch Ullrich gedopt hätten und systematisches Doping vorläge, könnte dies in der Frage der Täuschung seines Ex-Arbeitgebers für Ullrich auch entlastend sein. Staatsanwältin Monika Ziegenberg erklärte allerdings in der «Süddeutschen Zeitung»: «Nur der Umstand, dass es alle gemacht haben, schließt eine Täuschung nicht aus.»
Sie bestätigte dem Blatt auch, dass der Einspruch gegen die Übermittlung der Beweismittel durch Ullrichs Anwälte eingegangen sei. Nachdem ein Schweizer Gericht dem Rechtshilfeersuchen der ermittelnden Bonner Staatsanwaltschaft stattgegeben hatte, nutzten die Ullrich-Anwälte die Berufungsfrist bis spätestens am 25. Mai. Die Beweismittel waren bei einer Razzia auf Ullrichs Anwesen im schweizerischen Scherzingen sichergestellt worden. Die Staatsanwaltschaft in Bonn ermittelt gegen den Gewinner der Tour de France von 1997 wegen des Verdachts des Betrugs.
Auf seiner Internetseite datiert der bislang letzte Eintrag Ullrichs vom 10. Mai. Thema: Die Schwangerschaft seiner Frau Sara. Zum Dopingfall äußerte er sich via «janullrich.de» am 8. April, rund anderthalb Monate nach seiner Rücktrittspressekonferenz (26. Februar). «Ich fürchte mich vor keinem Verfahren, keinem Staatsanwalt und keinem Verband», teilte Ullrich damals mit. «Bis zur vollständigen Klärung meines Falles werde ich mich dazu nicht öffentlich äußern - erst recht nicht auf Druck von außen.»
Ullrich, der nicht mehr von Anwalt Peter Michael-Diestel rechtlich betreut wird, sei schlecht beraten, weiter zu schweigen, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Sportausschusses, Peter Danckert. Auch wenn es für das Gesamtbild um den Dopingskandal nicht mehr unbedingt notwendig sei, wäre es für Ullrich «eine seelische Entlastung». Der Anti-Doping-Experte Werner Franke machte deutlich: «Wenn er sich jetzt nicht erklärt, wird er es eines Tages in einem Gerichtssaal tun müssen.»