Pau (dpa) - In den vergangen Jahren war die Rechnung simpel: Drei Mal fuhr Lance Armstrong bei der ersten Bergankunft der Tour de France als erster über die Ziellinie. Nur 2000 und 2003 ließ er sich von den Spaniern Otxoa und Mayo überraschen, rollte aber kurz danach ins Ziel.
Die Konkurrenz wusste früh, wohin die Reise unter Führung des umstrittenen Seriensiegers aus Texas ging. Nach dem Rücktritt Armstrongs im Vorjahr und dem Schock der Suspendierung dreier Anwärter auf den Toursieg 2006 ist alles anders. «Wer gewinnt die Tour?» fragte die «L'Équipe» einen Tag vor der «Königsetappe» auf den 1860 Meter hohen Puerto de Beret auf der spanischen Seite der Pyrenäen.
Das Zentralorgan der Tour stellte die Topkandidaten vor und reihte Andreas Klöden von T-Mobile hinter Floyd Landis auf dem zweiten Rang ein. Der Tourzweite von 2004 ist im Bonner Erfolgsteam, das vor der ersten Pyrenäen-Etappe nach Pau im Gesamtklassement die Plätze eins, drei, vier und fünf belegte, längst die Nummer eins. Auch wenn formal der Mann in Gelb, der 36-jährige Ukrainer Sergej Gontschar, noch der Kapitän der Fernmelder aus Bonn war.
«Die Möglichkeit, dass Andreas die Tour gewinnen kann, lag immer im Nebel vor uns. Jetzt lichtet sich der Nebel. Wenn Andreas am Donnerstag vorne mitfährt, wird er sich zu seinen Perspektiven klar äußern», sagte sein Trainer Thomas Schediwie, der den Trainings-Notfallplan für Klöden nach dessen Schulteroperation im März ausarbeitete und mit dem Toursieg krönen will.
Der Wahlschweizer aus Cottbus war schon immer dann besonders gut, wenn es um einen neuen Vertrag ging. Sein Kontrakt bei T-Mobile läuft zum Saisonende aus. Klöden kann sich in die Nachfolger-Position seines gestrauchelten Freundes Jan Ullrich fahren. Durch eine komplizierte Operation nach einem Sturz konnte Klöden im Frühjahr nur wenig Wettkämpfe absolvieren. Aber das muss nicht von Nachteil sein. Schon im Vorjahr bewies der 31-Jährige in Frankreich bis zu seinem Ausstieg nach einem Kahnbeinbruch in der Hand, dass er wie kein Zweiter nach Verletzungen in Rekordzeit wieder auf Touren kommt.
Die Pole-Position in der Favoritenliste der «L'Équipe» hält der ehemalige Armstrong-Helfer Landis, der seinen prominenten Landsmann zu dessen Tour-Erfolgen 2002, 2003 und 2004 pilotierte. Trotz des Handicaps durch einen Hüftschaden, der ihn wahrscheinlich zum Einsatz einer Prothese am Ende des Jahres zwingen wird, spricht im Moment viel für Landis. «Natürlich habe ich wie alle vor Beginn der Bergetappen Zweifel. Aber bisher lief alles optimal - ich fühle mich gut», sagte der Kapitän des Schweizer Phonak-Teams mit Blick auf die Pyrenäen. Plötzliche Tempoverschärfungen am Berg, wie sie Armstrong oder Basso im Blut lagen, sind zwar nicht die Stärke von Landis. «Aber meine direkten Konkurrenten besitzen diese Qualitäten wohl auch nicht», bemerkte der Rundfahrer des Frühjahrs, der die Kalifornien- Tour, Paris-Nizza und die Georgia-Tour gewann.