Berlin (dpa) - Die Kritiker und selbst Arbeitkollegen nehmen im Fall Chris Froome weiter kein Blatt vor den Mund. Marcel Kittel sprach von einem «Supergau» für den Radsport, blieb im Ton aber insgesamt moderater als am Vortag sein Teamkollege Tony Martin.
Der Topsprinter hoffe, schrieb der zuletzt fünfmalige Etappensieger der Tour de France auf seinen Facebook-Seite, «dass Chris die Situation plausibel und schnell aufklären kann. Dieses Recht wird ihm in diesem konkreten Fall eingeräumt. Aber eins ist auch klar: jeder Tag der Ungewissheit mehr, ist auch ein schlechter für den Radsport.»
Der viermalige Toursieger war in einer Kontrolle bei der Spanien-Rundfahrt am 7. September mit 2000 Nanogramm Salbutamol im Urin aufgefallen. Die Einnahme des Mittels gegen Asthma - auf dieses Leiden hatten sich der 32-jährige Brite und sein Sky-Team berufen - ist bis zu einem Grenzwert von 1000 Nanogramm pro Milliliter gestattet. Froome, der sich von einem Topanwalt vertreten lässt, wurde gemäß der Regeln des Weltverbandes UCI nicht vorläufig suspendiert.
Er muss aber erklären, warum der Grenzwert signifikant überschritten wurde. Seit Monaten arbeiten Anwälte und Wissenschaftler an einer Entlastungs-Strategie. Wie britische Medien berichteten, vertraut Froome bei seiner Verteidigung auf den namhaften Juristen Mike Morgan aus London. Der Rechtsanwalt hatte - mit allerdings bescheidenen Ergebnissen - auch die in Dopingfälle verwickelten Alberto Contador und Lance Armstrongs Teammanager Johan Bruyneel vertreten.
Dem britischen Seriensieger war der erst am Mittwoch veröffentlichte Befund bereits seit dem 20. September bekannt. Einen Tag später hatte der UCI-Präsident Brian Cookson bei der Wahl im Rahmen der WM in Bergen/Norwegen sein Amt an den Franzosen David Lappartient verloren. Der Ex-Präsident aus Großbritannien beeilte sich mitzuteilen, auf den Fall «keinen Einfluss genommen» zu haben und bekräftigte, «dass jeder Fahrer gleich behandelt wird».
«Das ist schon mal der Supergau und ruft Erinnerungen an eine Zeit im Radsport hervor, von der wir uns alle so sehr distanzieren wollen. Und kompliziert wird es auch noch, denn es ist eine Substanz, die nicht sofort zu einer positiven Dopingprobe führt, weil sie an Asthma erkrankten Sportlern die Möglichkeit geben soll, trotzdem an Wettkämpfen teilzunehmen» schrieb Kittel weiter.
Der viermalige Zeitfahr-Weltmeister Martin hatte am Vortag den Umgang der UCI mit dem auffälligen Testergebnis aufs Schärfste kritisiert und von einem «Skandal» gesprochen. «Ich bin total wütend. Im Fall Froome wird definitiv mit zweierlei Maß gemessen. Andere Sportler werden nach einer positiven Probe sofort gesperrt», hatte der Katusha-Alpecin-Profi auf seiner Internetseite geschrieben.
«Er hätte nicht zur WM antreten dürfen», hatte Martin erklärt. Obwohl Froomes Werte bereits bekannt waren, fuhr der Seriensieger in Bergen im Zeitfahren noch zur WM-Bronzemedaille, Martin wurde Neunter.
Ex-Profi Jörg Jaksche mutmaßte, dass die Verwendung des für seine Doping-Wirkung fragwürdige Salbutamol eher am Rande interessiert. «Die Werte sind so hoch, dass die Anwendung des Sprays kaum die Ergebnisse erklärt. Was sonst passiert, ist Spekulation, aber wahrscheinlich eher einer Strafe würdig», sagte der Doping-Geständige ehemalige Telekom-Profi der Deutschen Presse-Agentur.