Paris (dpa) - Als die Rede auf Jan Ullrich kam, drückte sich Lance Armstrong um klare Worte. Auch für den amerikanischen Alleinherrscher der Tour de France entwickelt sich der Olympiasieger immer mehr zu einer unberechenbaren Größe - erst recht nach der Geburt von dessen Tochter.
«Ein Kind im Leben ist sicher gut für ihn. Für mich war so etwas immer ein sehr motivierender Faktor», sagte der dreifache Vater Armstrong in Paris, wo mit dem Prolog unter dem Eiffelturm die 90. Auflage der Frankreich-Rundfahrt beginnt. Ob Ullrich nach seiner ersten Vaterschaft ein gefährlicher Gegner werden kann, darüber schwieg der viermalige Tour-Sieger.
Langjährige Beobachter des 31-Jährigen meinen, er wirke trotz seiner Favoritenrolle nicht mehr so souverän. «Das Rennen wird enger. Ich werde nicht jünger und nicht stärker», gestand Armstrong vor den Medien aus aller Welt am Donnerstagabend ein. Am Nachmittag zuvor war er mit einem Privatjet aus seiner spanischen Wahlheimat Girona eingeschwebt. «Auch wenn der Eindruck trügen kann: Er hat kleine Signale ausgesandt, dass er nicht mehr ganz so dominierend ist», befand Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc. Was genau ihm aufgefallen war, behielt Leblanc für sich.
Armstrong offenbarte immerhin, dass ihm sein Sturz bei der Tour-Generalprobe «Dauphiné Libéré» zu schaffen gemacht hat. «Das hat mich am meisten aus dem Rhythmus gebracht. Die Länge der Erholungszeit hat mich überrascht, die Antibiotika haben meinem Magen mehr zugesetzt als ich dachte», gestand der Texaner.
Dezidierter als über Ullrich äußerte sich Armstrong über andere potenzielle Rivalen. Giro-Sieger Gilberto Simoni werde sicher stark und motiviert an den Start gehen, beim Spanier Joseba Beloki sprächen drei Podestplätze in den vergangenen drei Jahren für sich. Großen Respekt besitzt er offenbar vor seinem ehemaligen Adjutanten Tyler Hamilton. «Wir können Großes von ihm erwarten. Er ist ein guter Berg- und Zeitfahrer, sein Teamdirektor weiß, wie man die Tour gewinnt», urteilte Armstrong über den 32-jährigen Amerikaner, der Kapitän beim dänischen CSC-Team von Ex-Telekom-Profi Bjarne Riis ist.
Bei seinem ersten Auftritt nach der Ankunft in seiner früheren Wahlheimat Frankreich gab sich Armstrong Mühe, nicht unterkühlt zu wirken. «Ich liebe dieses Rennen», sagte er über die jetzt 100 Jahre alte Tour de France. «Ich komme von weit her, um es unbedingt zu gewinnen. Ich wüsste nicht, wie ich den Juli besser verbringen sollte.» In ihrer Liste der 100 bedeutendsten Tour-Persönlichkeiten setzte die Zeitung «L' Equipe» ihn trotz solcher Schwüre nur auf Rang sieben, direkt vor den Spanier Miguel Indurain, der das Rennen als bisher Einziger fünf Mal nacheinander gewinnen konnte.
Gepiesackt wurde Armstrong erneut mit der Frage nach einer anderen, für ihn momentan aber völlig unwichtigen Bestmarke. Vor zwei Jahren hatte eine britische Zeitung die bis dahin heimliche Zusammenarbeit mit dem wegen Dopings angeklagten Mediziner Michele Ferrari wegen des Stundenweltrekordes öffentlich gemacht. «Wahrscheinlich im nächsten Jahr», werde er den Rekord attackieren, sagte Armstrong zunächst. Wann und wo? Da wurde er so ungenau wie bei Ullrich: «Ich weiß nicht, und ich weiß nicht.»