San Remo (dpa) - Vor drei Jahren benötigte er für seinen Sieg auf der Via Roma noch den Übermut Erik Zabels, der zu früh jubelte. Diesmal schaffte es Oscar Freire in San Remo ohne derartige Schützenhilfe: Der dreifache Weltmeister aus Spanien gewann die Jubiläums-Ausgabe von Mailand-San-Remo. Mit seinem Sieg verdarb Freire den Gastgebern die 100-Jahr-Feier ihrer «Classicissima». Nach 294 Kilometern setzte er sich mühelos an die Spitze einer 46 Fahrer starken Gruppe, düpierte die sieggewohnten Italiener und ließ Zabel für seinen schwächelnden Kapitän vergeblich strampeln. «Ich hatte mir mit Petacchis Hinterrad genau die richtige Position im Finale erkämpft und im entscheidenden Moment keine großen Probleme», sagte der Spanier, der oft mehr unter seinem lädierten Rücken leidet als unter der Konkurrenz. «Freire bremst alle», titelte die «Gazzetta dello Sport».
Der 36-jährige Zabel hatte vor dem 15. Auftritt bei seinem Lieblingsrennen, das er bereits vier Mal gewann, offensichtlich etwas geblufft. Von Erkältung und Formschwäche war nicht viel zu merken. Drei Team-Kollegen fuhren auf der Zielgeraden für den vermeintlich schnellen Milram-Kapitän Alessandro Petacchi. Als letzter Zabel, der erst 120 Meter vor dem Ziel ausscherte und dem «Chef» den Weg freimachte. Doch der Italiener, Sieger von 2005, blieb förmlich stehen und hatte keine Chance gegen einen entfesselten Freire. Wer weiß: Bei anderer Stallorder wäre vielleicht Zabel zu seinem fünften Erfolg in San Remo gekommen.
«Ich bin mit meiner Leistung zufrieden, als Anfahrer noch Sechster geworden zu sein», sagte der Berliner diplomatisch und vermied jede Kritik an Petacchi, der mit Rang acht nicht zufrieden war. Die Festlegung der Hierarchie bei Milram sei «Inhalt meines Vertrages», hatte Zabel, der in seiner vorletzten Saison noch ein Mal ganz Großes vorhat, vor dem Geburtstagsrennen erklärt. Am 30. September will er im Herbst seiner einzigartigen Karriere in Stuttgart zum ersten Mal Weltmeister werden. Da wird ihm Petacchi wohl kaum im Weg stehen, schon eher die Konkurrenz aus dem eigenen Land - und natürlich Freire. Petacchi schob seinen Blackout von San Remo auf die Nachwehen seiner komplizierten Knieoperation vom vergangenen Juni: «Im linken Bein habe ich noch nicht die Kraft von früher.»
Mit blutunterlaufenen Augen und völlig fertig beendete U23- Weltmeister Gerald Ciolek sein erstes Mailand-San-Remo. «Ich bin vorher noch nie 294 Kilometer gefahren», stöhnte der 20-jährige T- Mobile-Neuling, der sich mit Platz 27 sehr beachtlich schlug. Zabel hatte seine Erfolgsstory bei der «Primavera» vor 14 Jahren mit Rang 93 begonnen. Der Kölner Ciolek wertete diesen Hinweis als Aufmunterung und hatte es nach dem Rennen schon wieder eilig. Nicht mal drei Stunden nach der Zieldurchfahrt ging sein Rückflug von Nizza nach Frankfurt.
Eine Pechsträhne ohne Gleichen erlebte das Gerolsteiner-Team, das fünf Stürze verkraften musste. Am härtesten erwischte es den Italiener Andrea Moletta, der bei der Abfahrt von der Cipressa auf regennasser Straße in eine Betonmauer raste. Der Bonner David Kopp landete mit dem Gesicht auf dem Asphalt. «Er hat nur geschrien», berichtete Teamchef Christian Henn, der gleich nach dem Unfall bei Moletta war. Der bemitleidenswerte Profi erlitt einen komplizierten Bruch des Oberschenkels, der ihn mehrere Monate schachmatt setzen wird. «Wir sehen uns im September bei der Vuelta», bestellte er seinem Manager Hans-Michael Holczer, der gerade mit Kopp aus dem Krankenhaus von Imperia kam. Mit Gesichtsverletzungen, einem Nasenbeinbruch und einer Gehirnerschütterung war der Bonner noch glimpflich davon gekommen.