Carcassonne (dpa) - Die Stimmung ist im Keller. Die Pyrenäen-Gipfel brachten die bittere Erkenntnis: Lance Armstrong ist für Jan Ullrich bei der 91. Tour ein überwindbarer Gegner. 6:39 Minuten Rückstand sind für den Olympiasieger auf den letzten sieben Etappen kaum aufzuholen.
Es sei denn, es geschieht ein Wunder, Armstrong stürzt oder wird des Dopings überführt. «An Wunder zu glauben, fällt schwer, Lourdes liegt schon hinter uns», sagte Ullrich-Betreuer Rudy Pevenage nach Armstrongs Etappensieg auf dem 1780 Meter hoch gelegenen Plateau de Beille und kritisierte die Stallorder im T-Mobile-Team, in dem der Flame mehr gelitten als erwünscht ist: «Keiner war zum Schluss bei Jan.»
Im hoch dotierten Ensemble aus Bonn liegt jetzt Andreas Klöden vor Ullrich und macht dazu den solideren Eindruck. «Wenn alles optimal für ihn läuft, kann er am Sonntag in Paris auf dem Treppchen stehen», meinte Teamchef Mario Kummer und versicherte: «Die Stimmung ist gut.» Nach Ullrichs völlig überraschendem Einbruch am Vortag in La Mongie hätten Kummer und Team-Manager Walter Godefroot während der 13. Etappe entschieden, Klöden ziehen zu lassen und von Helfer-Aufgaben für seinen Kapitän zu entbinden.
«Ich habe Verständnis für ihn - es ist die Chance seines Lebens», sagte Ullrich, der auf den Ruhetag wartet und auf die Alpen hofft. Als der schwer stampfende Olympiasieger auf dem Plateau de Beille verbissen um jede Sekunde kämpfte, fuhr der Mannschaftswagen an ihm vorbei zu Klöden. «Beide sind Freunde - da gibt es keine Schwierigkeiten, Jan bleibt unser Kapitän, und in den Alpen rechne ich stark mit ihm», sagte Kummer.
Godefroot hat eine plausible Erklärung für den Leistungsunterschied zwischen dem verbissenen Perfektionisten aus Austin in Texas, der auf schnurgeradem Weg zu seinem sechsten Tour-Sieg in Serie ist, und dem talentierten Leichtfuß aus Rostock: «Armstrong hat seine Leistung nach der Dauphiné-Rundfahrt um 50 Prozent gesteigert, Ullrich seine nach der Tour de Suisse nicht.»
Das Fehlen Alexander Winokurows, mögliche Schwachstellen im Team, schlechtes Wetter: Die Suche der Gründe für das erneute Scheitern Ullrichs hat begonnen. Die Ursachenforschung muss zuerst aber bei ihm selbst beginnen. Trotz aller Beteuerungen war seine Vorbereitung wahrscheinlich wieder nicht professionell genug. Sein alter Team-Kapitän Bjarne Riis formt als CSC-Manager indes in jedem Jahr mit wissenschaftlicher Akribie ernsthafte Herausforderer. Im Vorjahr Tyler Hamilton, jetzt Ivan Basso. Jan Ullrich bringt an Talent viel mehr mit als beide zusammen - trotzdem wird es wieder nicht reichen.
Vielleicht wäre der dänische «Zaubermeister» aus Herning, dem Ullrich bei seiner chaotischen Suche nach einem neuen Team zum Jahresbeginn 2003 einen Korb gegeben hatte, weil die Finanzen nicht stimmten, doch der richtige Mann für ihn gewesen. Zumindest, wenn Ullrich wirklich noch ein Mal die Tour gewinnen will. Die französische Sportzeitung «L'Equipe» verlor jedenfalls kein Wort mehr zum Thema Ullrich.