Kreuzlingen (rad-net) - Nachdem der deutsche Sprinter Marcel Kittel im August des vergangenen Jahres seine Karriere überraschend beendet hat, hat sich der 32-Jährige nun erstmalig zu seinem Leben nach dem Leistungssport geäußert. Im Interview mit der niederländischen Zeitung «Algemeen Dagblad» sprach Kittel über das Familienglück und seine zweite Karriere außerhalb des Radsports.
«Ich bin extrem stolz auf das, was ich in 20 Jahren als professioneller Fahrer erreicht habe, aber es wird Zeit für etwas anderes», hatte Kittel vor einem knappen Jahr, kurz vor seinem Karriereende verkündet. Der gebürtige Arnstädter hatte zuletzt vergeblich versucht, in die Form von 2017 zurückzufinden, als er fünf Etappen der Tour de France gewann, doch als er 2018 und 2019 lediglich drei Siege einfahren konnte, fasste der Sprint-Spezialist im August die Entscheidung, seine sportliche Laufbahn zu beenden.
Noch vor einem Jahr befand sich Kittel in Vertragsverhandlungen mit seinem damaligen Team Katusha und damals habe er noch nicht über sein Karriereende nachgedacht: «Ich habe nicht über einen Ausstieg nachgedacht, die Entscheidung dazu kam erst später, aber der Prozess begann etwa zu dem Zeitpunkt.» Dabei habe er sich mit dem Beschluss damals sehr schwer getan. «Ich habe damals Zeit gebraucht, herauszufinden was gut für mich wäre, sodass ich meine Entscheidung später nicht bereuen würde. Nun weiß ich, dass sich innerhalb eines Jahres viel verändern kann. Es ist großartig verlaufen. Ich stehe nun genau an dem Punkt meines Lebens, wo ich stehen will.»
Seit seinem abrupten Karriereende lebt Marcel Kittel mit seiner Freundin und seinem fünf Monate alten Sohn in Kreuzlingen (Schweiz), wo er zudem an der Universität zu Konstanz ein Wirtschaftsstudium aufgenommen hat. «Die Geburt meines Sohnes ist einer der Gründe, warum ich so glücklich über meine Entscheidung bin. [...] Ich bin nun Teil seiner Erziehung und kann täglich miterleben, wie viel sich in den ersten Monaten eines Kindes verändert.»
Dabei bedeute ihm sein Familienglück mehr als jeder Erfolg, den er jemals auf dem Rad eingefahren habe. «Das Gefühl bleibt viel länger als der Sieg einer Etappe der Tour de France oder das Tragen des Gelben Trikots für einen Tag. Diese Erfolge sind natürlich trotzdem schön und einzigartig, aber ein Kind und die Verantwortung darüber bestimmen den Rest deines Lebens. Wenn ich all meine Siege für seine Zufriedenheit und Gesundheit zurückgeben müsste, dann müsste ich nicht einmal einen Bruchteil einer Sekunde darüber nachdenken.»
Über den Prozess seines Ausstiegs denkt der Deutsche jedoch weiterhin nach und erklärte im Interview den Druck, der auf den Radprofis liegt: «Radfahren ist in jeder Hinsicht ein harter Sport – physisch und emotional. Die dauerhafte Müdigkeit ist unvergleichbar hoch. Der Druck von Außen ist ebenfalls extrem schwer zu tragen. Wie man damit umgeht, hängt dann von der eigenen Umwelt, deiner Situation zu Hause und deinem Team ab.»
Kittel habe schließlich trotz Vertragsangebot des Teams Jumbo-Visma die Reißleine gezogen: «Ich hatte die beste Option auf dem Tisch. Und das macht deutlich,wie wichtig es für mich war, den richtigen Weg zu finden und das was ich wollte. Am Ende habe ich dann meine Entscheidung getroffen – nicht weil ich es musste, sondern weil ich es so wollte.»