Berlin/Montecatini (dpa) - Weltmeister Mario Cipollini steckt im Gefühls-Chaos. Einerseits ist ihm zum Jubeln zumute, nachdem er sich mit seinem insgesamt 42. Giro-Etappensieg einen Rekord für die Ewigkeit erfahren und Campionissimo Alfredo Binda (1902-1976) abgelöst hat.
Anderseits ist ihm zum Heulen, weil ihm die Tour-de- France-Organisatoren wenige Stunden davor zum dritten Mal hintereinander die Rote Karte für das wichtigste Radsport-Spektakel gezeigt hatten, obwohl es vorher andere Signale gab. Entsprechend verärgert reagierte Cipollini, der in seiner Karriere 12 Tour-Etappen gewann und sechs Tage das Gelbe Trikot trug.
«Das grenzt an Diktatur. Ich habe ein Gefühl von Wut und sogar Hass auf die Person, die seit drei Jahren verhindert, dass ich die Tour fahren darf», erregte sich der schnelle Mann aus der Toskana. Wahrscheinlich hat ihm Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc nicht verziehen, wie er den ebenfalls von der Société du Tour de France organisierten Klassiker Paris-Roubaix im Vorjahr schlecht gemacht und den Start im Dress des Weltcup-Führenden verweigert hatte. «Ich hatte in diesem Jahr alles auf die Tour ausgerichtet», sagte Cipollini.
«Super-Mario» bekam in seinem Ärger Rückendeckung. Zuschauer am Straßenrand in Italien pinselten Plakate, auf denen stand: «Leblanc ist verrückt». Die Fernseh-Kommentartoren der RAI sprachen von einem «Skandal». Dem Tour-Direktorium, das Jan Ullrich und seinem neuen Team Bianchi die Tour-Teilnahme in Aussicht stellte, war nach der Kritik würdigen Entscheidung offensichtlich auch nicht recht wohl. «Die Einladung des Teams Jean Delatour anstelle der Cipollini- Mannschaft war ein kleines französisches Privileg», meinte Leblanc, der anlässlich des 100. Tour-Geburtstages noch mehr als sonst auf nationale Gesichtspunkte achtete.
Mit Wut im Bauch will Cipollini den Rekord, den vor ihm der fünfmalige Giro-Gewinner und dreifache Weltmeister Binda in den Jahren 1925 bis 1933 aufgestellt hatte, weiter in die Höhe schrauben. Im Juli wird sich der 36-Jährige vom Giro-Stress erholen können. Kaum anzunehmen, dass der Weltverband für den Italiener bei den Franzosen noch intervenieren kann. Die Ausladung sei das gleiche, sagte sein Manager Vicenzo Santoni, «als würde Michael Schumacher beim Grand Prix von Australien von einem australischen Fahrer ersetzt werden.»