Essen (dpa) - Deutschlands prominentester Arbeitsloser ist wieder in Lohn und Brot. Olympiasieger Jan Ullrich unterschrieb im feinen Zollhaus-Casino in Essen einen Drei-Jahres-Vertrag beim Coast-Team, nachdem er ein neues Angebot seines ehemaligen Radprofi- Rennstalls Telekom im September 2002 ausgeschlagen hatte.
«Ich bin froh, dass das alte Jahr vorbei ist und ich jetzt mit Coast ein außerordentlich professionelles Team hinter mir habe. 2003 brauche ich zum Aufbau, 2004 und 2005 sollen meine neuen, großen Erfolgsjahre werden. Ich werde mit 120 Prozent an meinem Comeback arbeiten», sagte der nach seinem positiven Doping-Befund noch bis 23. März gesperrte Ullrich vor über einhundert Pressevertretern.
Die Unterschrift von Deutschlands immer noch populärstem Rad-Profi ließ sich der Coast-Chef und Boutiquen-Besitzer Günther Dahms (54) mindestens fünf Millionen Euro kosten. Laut Ullrich im Vergleich zu Telekomzeiten «bedeutend weniger». Die avisierten Co-Sponsoren, die den finanziellen Aufwand von Dahms abfedern sollen, will der Fabrikant aus Essen «in etwa vier Wochen» präsentieren. Dahms: «Es sind namhafte Konzerne, die Interesse bekunden. Die Gespräche sind weit gediehen.»
Ullrich vertraut bei seinem oft propagierten radikalen Neuanfang auf alt gedientes Personal. Ex-Telekom-Teamchef Rudy Pevenage (Belgien) wechselte für drei Jahre ebenso zu Coast wie sein Freund und neuer Nachbar, der ehemalige Gerolsteiner-Profi Tobias Steinhauser (Scheidegg). Seinen persönlichen Trainer noch aus DDR- Zeiten, Peter Becker (Berlin), wird der Toursieger von 1997 aus eigener Tasche bezahlen müssen. «Das ist Ullrichs Privatsache», erklärte Dahms. «Gute Leute tun mir gut. Die habe ich mitgenommen», sagte Ullrich.
Nach Worten des Konzernchefs wird sich der ehemalige DDR- Auswahltrainer Wolfram Lindner an der Spitze der jetzt sechs Sportlichen Leiter bei Coast «als Trainings-Wissenschaftler in erster Linie um die Trainings-Gestaltung» kümmern. Am Freitag starten Ullrich, Steinhauser und Pevenage zusammen mit den übrigen 22 Coast-Profis ins Trainingslager nach Gandia/Spanien.
«Mir fehlen durch den Ausfall im vergangenen Jahr 30Â 000 Kilometer. Ich muss meine Motivation zügeln», sagte Ullrich, der 2002 nur im Januar ein kurzes Rennen in Katar bestritt und danach durch bekannte Eskapaden und zwei Knie-Operationen ausfiel. Sein behutsamer Aufbau, «ohne Druck», soll laut Lindner im Herbst bis zur WM in Hamilton/Kanada abgeschlossen sein. Ullrich: «Dann will ich den Anschluss zur Weltspitze vollzogen haben.»
Coast-Sprecher Marcel Wüst erklärte: «In diesem Jahr erwarten wir von ihm jedenfalls nicht den Toursieg. Vielleicht kann er Armstrongs 6. Sieg in Folge 2004 verhindern.» Coast ist im Juli erstmals bei der Tour de France startberechtigt.
Im Vorfeld der Einigung mit Coast, die sich Monate lang hinzog, musste Ullrich herbe Kritik aus der Branche einstecken. Ihm sei es bei der Unterschrift nur ums Geld gegangen. Einen richtigen Neuanfang hätte er bei seinem ehemaligen Team-Kollegen Bjarne Riis, «notfalls auch ohne Bezahlung» starten sollen, empfahl der vierfache Toursieger Lance Armstrong (USA), der Ullrich 2000 und 2001 zwei Mal in Frankreich bezwang.
Der Däne Riis, lange Zeit der ausgemachte Favorit Ullrichs als neuer Arbeitgeber, warf Coast unseriöse Geschäfts-Praktiken vor. Sein ehemaliger Team-Kollege Rolf Aldag mäkelte am Mittwoch in der «Süddeutschen Zeitung»: «Das ist kein richtiger Neuanfang. Nur die Farbe seines Begleitfahrzeuges hat sich geändert. Er hätte zu Bjarne gehen sollen.»
Der durch eine Erkältung leicht geschwächte Ullrich, ganz in Schwarz gekleidet, trat dem Vorwurf der Geldgier entgegen: «Es gab verschiedene Gründe, warum der Transfer zu Riis nicht geklappt hat. Ich bin Profisportler und kann nicht umsonst fahren. Ich verdiene bedeutend weniger als früher. Geld steht nicht im Mittelpunkt.»