Courchevel (dpa) - Lance Armstrong hat die Konkurrenz vorgeführt, Jens Voigt sein Gelbes Trikot verloren und Jan Ullrich wahrscheinlich die Tour: Auf der ersten Alpen-Etappe der 92. Frankreich-Rundfahrt holte der Rekordsieger aus Texas auf dem Weg nach Courchevel zum Schlag aus.
Auf der 10. Etappe eroberte er auf seiner Abschieds-Tour das Leader-Trikot zurück und ließ keinen Zweifel am künftigen Gesamtsieger. Auf der Strecke blieb das komplette T-Mobile-Trio Jan Ullrich, Andreas Klöden und Alexander Winokurow. Auch der Vorjahresdritte Ivan Basso (Italien) verlor 1:01 Minuten und weist im Gesamtklassement jetzt einen Rückstand von 2:40 Minuten auf Armstrong auf.
Der durch zwei Stürze angeschlagene Ullrich kam 2:16 Minuten nach Armstrongs ins Ziel, Klöden zwei Sekunden vor ihm. Winokurow ging mit 5:18 Minuten Rückstand unter und kann alle Hoffnungen auf einen erträumten Toursieg begraben. «Die Sturzfolgen haben mich ein bisschen gehandicapt, aber auch ohne den Unfall wäre der Rückstand heute sicher nicht geringer gewesen. Immerhin war es kein Rieseneinbruch. Auch im Vorjahr bin ich bei der Tour zum Schluss immer stärker geworden - Ich gebe nicht auf», sagte Ullrich im Ziel auf 2000 Meter Höhe.
Nur ein Fahrer konnte letztlich dem unerbittlichen Tempo-Diktat Armstrongs auf den letzten 12 Kilometer Paroli bieten: Tour-Neuling Alejandro Valverde wurde für seine Stärke mit dem Etappensieg in Courchevel belohnt. «Wir haben heute die Zukunft des Radsports gesehen», lobte Armstrong den Spanier, bei dem er sich im Ziel mit einem Handschlag für die Kolaboration bedankte. Zusammen mit Valverde hatte Armstrong auf den letzten Metern Mikael Rasmussen (Dänemark) und Francesco Mancebo (Spanien) stehen lassen.
Wegen angekündigter Proteste von Bauern, die gegen den Artenschutz von Wölfen zu Felde ziehen, wurde der Start nach Brignoud verlegt. Damit verkürzte sich der 10. Tagesabschnitt um 11,5 auf 181 Kilometer. Armstrong liegt jetzt im der Gesamtwertung 38 Sekunden vor dem dänischen Spitzenreiter in der Bergwertung, Rasmussen und Basso. Ullrich hat als Achter vor der 11. Etappe 4:02 Minuten Rückstand, der Amerikaner Levy Leipheimer von Gerolsteiner als sechster 3:58. «Das war heute ein großer Tag für unser Team und mich», sagte Armstrong, der den Champagner aber noch nicht köpfen will: «Es liegt noch viel vor uns - wir haben eine gute Position. Ich glaube, T-Mobile ist noch nicht fertig».
Auf dem ersten der zwei Anstiege der ersten Kategorie herrschte zwischen den Favoriten noch so etwas wie ein Stillhalteabkommen. Allerdings reichte schon das dort angeschlagene Tempo auf den Cormet-de-Roselend, um Voigt in Schwierigkeiten zu bringen. Außerdem musste der Spanier Iban Mayo, eigentlich als kletterstark bekannt, abreißen lassen. Auf der Abfahrt des 1967 Meter hohen Berges stürzte Armstrong-Helfer Jaroslaw Popowitsch. Doch der Gewinner der Katalonien-Rundfahrt verletzte sich nicht und schloss nach kurzer Zeit zu seinem Chef auf und wurde im trubulenten Finale zu seiner letzten großen Stütze. Im Ziel hatte Voigt über 15 Minuten verloren.
Die übrigen Discovery-Fahrer funktionierten dagegen nach der rätselhaften, kollektiven Schwäche wieder wie ein Schweizer Uhrwerk. Auf dem ersten Anstieg und der Ebene Richtung Schlussanstieg in die Skistation Courchevel bestimmte das US-Team, wegen seiner Trikotfarben und Geschwindigkeit «Blue Train» genannt, das Geschehen. Auf dem Flachstück hatte sich auch wieder Popowitsch eingereiht. Das Armstrong-Team stellte die Ausreißer, von denen der Ansbacher Jörg Jaksche als Letzter passen musste, in der Mitte des letzten Aufstiegs fast im Alleingang.
Vor dem Start wurde der erste Fahrer dieser Tour wegen erhöhter Hämatokritwerte seines Blutes ausgeschlossen. Jewgeni Petrow, 27-jähriger Profi vom italienischen Lampre-Team, war bei einer Kontrolle am Morgen auffällig geworden. Mit ihm zusammen waren 33 Fahrer aus vier Mannschaften getestet worden, darunter auch die Spitzen-Teams Discovery Channel und CSC. Nach dem Tourstart mussten sich bisher insgesamt 129 Profis Blutkontrollen unterziehen. Armstrong wurde schon zwei Mal getestet.
Ullrich hatte an Courchevel eigentlich gute Erinnerungen. Im Jahr seines Sieges 1997 war er so stark, dass er dort den Etappensieg Richard Virenque schenken konnte. 2000 feierte in der französischen Skistation Marco Pantani, der im Februar 2004 verstarb, seinen letzten Tour-Etappensieg.