Lüttich (dpa) - Für den einen war es ein Auftakt nach Maß, für den anderen ein früher Dämpfer.
Schon am ersten Tag der 91. Tour de France sorgte Lance Armstrong für klare Verhältnisse: Wie entfesselt jagte der Titelverteidiger über den 6,1 Kilometer langen Prolog-Kurs in Lüttich, nahm seinem vermeintlichen Hauptkonkurrenten Jan Ullrich 15 Sekunden ab und zerstreute damit alle Zweifel an seiner Form. Das Zeitpolster ist zwar noch klein, doch die psychologische Wirkung groß. «Natürlich weiß ich, dass es nach Paris noch über 3000 Kilometer sind, aber der Prolog ist immer ein erster Indikator», sagte der fünfmalige Gesamtsieger.
Der erste Coup des Amerikaners hinterließ im Ullrich-Gefolge kaum Wirkung. Gelassen genehmigte sich Walter Godefroot wenige Stunden nach dem viel diskutierten Fehlstart seines Spitzenfahrers an der Bar des T-Mobile-Hotels ein Bier. «Sicherlich hat sich Armstrong mit seinem zweiten Prolog-Platz einen mentalen Vorteil verschafft», bekannte der Manager des T-Mobile-Teams, konnte dem Gerede von einem Richtung weisenden Ergebnis jedoch nichts abgewinnen. «Jan ist nicht mehr so schnell beeinflussbar wie früher. Er macht sich keine Sorgen.»
Anders als Armstrong hielt sich Ullrich auf dem Stadtkurs in Belgien merklich zurück. Auf einen ähnlich viel versprechenden Tour-Auftakt wie im Vorjahr, als Ullrich beim Prolog fünf Sekunden vor dem späteren Gesamtsieger ins Ziel kam, warteten die zahlreichen deutschen Fans an der Strecke vergeblich. «Jan ist doch dafür bekannt, dass er nicht auf der letzten Rille um die Kurve fährt», sagte Team-Sprecher Olaf Ludwig mit Verweis auf die Stürze von Michael Rogers (Australien) und Sergej Iwanow (Russland), die jedoch folgenlos blieben.
Mit ähnlichen Aussagen reagierte Mario Kummer auf den mäßigen 16. Platz des Zeitfahrspezialisten: «Wenn man ein solches Rennen nicht gewinnen kann, sollte man Vorsicht walten lassen. Für Armstrong war dieses Ergebnis wichtiger als für Jan.» Spätestens beim Zeitfahren am zweitletzten Tour-Tag werde Ullrich die passende Antwort geben: «Diesen Vorsprung kann man nicht einfach auf ein längeres Zeitfahren hochrechnen», sagte der Sportliche Leiter des Teams.
Doch die Gefahr ist gewachsen, dass Armstrong bis dahin schon um Minuten enteilt ist. Nicht nur der frühe Rückstand von Ullrich gibt zu denken. Schließlich präsentierten sich auch die anderen Fahrer aus dem US Postal-Team in glänzender Verfassung und gewannen beim Prolog die Mannschaftswertung. Ullrich und seine Mitstreiter mussten sich dagegen mit Rang neun begnügen. Das macht wenig Mut für das 64,5 Kilometer lange Mannschaftszeitfahren von Cambrai nach Arras. Schon dabei könnte das Zeitpolster von Armstrong weiter anwachsen.
