Paris (dpa) - Der fünfte Sieg ist immer der schwerste. Das war bei Jacques Anquetil, Eddy Merckx, Bernard Hinault und Miguel Indurain nicht anders als bei Lance Armstrong. Der Aufstieg auf den Tour-Olymp verlief für den 31-jährigen Texaner, seit 1999 das ein und alles bei der Frankreich-Rundfahrt, in der Jubiläums-Ausgabe so beschwerlich wie nie.
Das lag vor allem an dem Herausforderer Jan Ullrich, aber auch an zwei Stürzen, taktischen Fehlern im Team, gesundheitlichen Problemen - und einem technischen Defekt, über den Armstrong erst redete, als nach dem entscheidenden und hoch dramatischen Zeitfahren in Nantes alles vollbracht war.
Auf der «Königsetappe» in den Alpen fuhr Armstrong 180 km mit leicht schleifender Hinterrad-Bremse, was ihm hinterher erklärlich machte, «warum ich am Telegraphe und Glandon Schwierigkeiten hatte, vorne richtig mitzugehen». Im Ziel hatte der Texaner einem gesundheitlich angeschlagenen Ullrich trotzdem die ersten 1:24 Minuten Rückstand aufgebrummt und das Gelbe Trikot geholt. Von Sabotage sprach Armstrong nicht, nannte den merkwürdigen Vorfall aber zumindest «mysteriös».
Überhaupt lief in der sonst perfekten Maschinerie seines US Postal-Teams - angeblich pro Jahr mit 20 Millionen Dollar vom Staatsunternehmen gesponsert - nicht alles so geschmiert wie sonst: «Es gab viele Probleme.» Auch beim Chef, zum Perfektionismus neigend, lief nicht alles rund. «Meine Kondition war nicht 100-prozentig. Das war nicht akzeptabel und wird im nächsten Jahr anders sein», versprach Armstrong, der in Nantes seinen Verzicht auf die WM im Oktober in Hamilton/Kanada bekannt gab und ankündigte: «2004 komme ich wieder - und sicher nicht, um Zweiter zu werden.» Auch dann kann er wieder auf Ullrich als seinen entscheidenden Motivations-Faktor rechnen.
«Ich mag Jan. Er ist wieder zurück und hat uns mehrere schlaflose Nächte bereitet. Keiner motiviert mich mehr», sagt Armstrong, der Ullrich auch seine Tour-Tiefpunkte zuschrieb: «Die Niederlage in Cap Découverte im ersten Zeitfahren und die 19 Sekunden Rückstand auf Ullrich auf der ersten Pyrenäen-Etappe waren die schlimmsten Momente für mich bei dieser Tour.» Bei der Zieldurchfahrt im Regen überfluteten Nantes machte Armstrong vor Freude eine Faust wie Boris Becker nach großen Siegen und strahlte über das ganze Gesicht: «Das Gesetz des Stärksten», titelte die «L'Equipe» am Sonntag zu diesem Bild.
Toursiege sind nie Routine - auch nicht bei Armstrong, der 1999 nach seinem ersten Erfolg die Sportwelt ungläubig den Kopf schütteln ließ. Das Staunen über den 1996 an Hodenkrebs erkrankten Texaner, der nach seinem Sturz beim Aufstieg nach Luz Ardiden aufstand und die Tour mit der entscheidenden Attacke gegen Ullrich gewann, hat seit dem nicht aufgehört, obwohl er bei seiner Rückblick seine überwundene Krankheit mit keinem Wort erwähnte.
2004 macht er sich ans nächste Titanenwerk. Sechs Siege hat in 101 Jahren Tour de France noch niemand geschafft. Lance Armstrong ist auch das - zum Leidwesen Ullrichs - zuzutrauen. Sein Traum sei es, sagte Armstrong in Nantes, ungeschlagen abzutreten: «Ich weiß, meine Zeit ist limitiert. Schon diesmal habe ich gemerkt, dass ich älter werde. Ich hoffe, ich verpasse den richtigen Punkt zum Rücktritt nicht.» Ullrich versprach ihm derweil für 2004 wieder einen heißen Kampf: «Jetzt erst recht».