Bagnères-de-Bigorre (dpa) - Erst ein Columbia-Doppelerfolg, dann ein werbewirksamer Auftritt des Gerolsteiner-Teams und ein nicht unumstrittener Etappensieger Riccardo Ricco: Das zweite Wochenende der 95. Tour de FRance bot alle Facetten des krisengeschüttelten Radsports.
Einen Tag nach dem Sprint-Doppelerfolg des Briten Mark Cavendish und des Pulheimers Gerald Ciolek in Toulouse und zwei Tage nach dem Dopingfall Beltran sicherte sich Ricco nach 224 Kilometern am Fuß des Col d'Aspin im Ziel der ersten Pyrenäen-Etappe seinen zweiten Tageserfolg.
Der knapp 60 Kilogramm leichte Italiener, dessen Blutwerte nach Informationen der «L'Équipe» erhebliche Auffälligkeiten aufweisen sollen, rettete als Solosieger 1:17 Minuten vor dem Hauptfeld ins Ziel. Er hatte seine Flucht knapp 28 Kilometer vor dem Ziel begonnen. Bei seinem bemerkenswerten Husarenritt hatte der diesjährige Zweite des Giro d'Italia den Zeitfahr-Spezialisten Sebastian Lang aus dem Gerolsteiner-Team einen Kilometer vor dem Gipfel des letzten Anstiegs überholt.
Der Erfurter hatte sich auch als kletterfest entpuppt und fuhr nach seiner knapp 30 Kilometer nach dem Start initiierten Attacke am Tagessieg und Bergtrikot nur knapp vorbei. «Schade, dass es nicht gereicht hat. Das ärgert mich ganz schön», sagte Lang. «Sebastian ist ein fantastisches Rennen gefahren. Wir hatten auf das Bergtrikot durch ihn spekuliert», sagte Langs Team-Kollege Stefan Schumacher, der auf der 9. Etappe im Finale Zeit auf die Besten verlor und im Gesamtklassement vom dritten auf den vierten Platz zurückfiel.
Der Ausgang der 9. Etappe in Bagnères-de-Bigorre änderte unter den Favoriten nichts im Gesamtklassement, das nach wie vor der Columbia- Profi Kim Kirchen anführt. Der 30-jährige Luxemburger verteidigte am Sonntag sein Gelbes Trikot mit sechs Sekunden Vorsprung vor dem Australier Cadel Evans, der einen Sturz mit heftigen Abschürfungen verdauen musste. Schumacher, der sein Gelbes Trikot nach seinem Sturz von Super-Besse, wo Ricco am Donnerstag seinen ersten Etappensieg gefeiert hatte, so tragisch einbüßte, hat als Gesamt-Vierter jetzt 56 Sekunden Rückstand auf Kirchen.
Der Luxemburger fuhr den vierten Tag in Gelb. «Es ist toll, das Peloton anzuführen. Ich habe darauf mehr als zehn Jahre gewartet. Ein Traum wird wahr», fasste der Luxemburger seine Freude noch einmal in Worte. Als er vor zweieinhalb Jahren zum Columbia- Vorgänger T-Mobile wechselte, war er eher ein Fahrer aus dem zweiten Glied. «Ich bin eben kein Hochgebirgs-Spezialist. Ich warte auf den Tag, wenn bei mir der Stecker rausgezogen wird, heute war es schon sehr schwer für mich. Beim Aufstieg auf den Aspin hatte ich einen 'Hungerast' und büßte deshalb Zeit ein», sagte Schumacher.
Vor der ersten Sprintwertung nach 29,5 Kilometern hatte sich eine dreiköpfige Spitzengruppe mit Lang, Alexander Kuschinski (Bulgarien) und Nicola Jalabert (Frankreich) gebildet. Zeitweise hatten die Ausreißer über zehn Minuten Vorsprung vor dem Hauptfeld, in dem die Topfahrer offensichtlich vor allem die Pyrenäen-Etappe nach Hautacam am nächsten Tag im Kopf hatten. Über den Gipfel des Peyresourde auf 1569 Metern Höhe fuhr Lang noch alleine mit 5:32 Minuten Vorsprung auf das Feld. Kurz vor dem Gipfel hatte er sich von seinen Begleitern getrennt. Einen Kilometer vor dem Gipfel des Aspin 30 Kilometer später passierte ihn Ricco, der sich vom Feld mit einem Turbo-Antritt abgesetzt hatte.
Etwa auf halber Strecke hatte Evans in einer Kurve bergab einen folgenschweren Sturz erlitten. Der Australier, der vor vier Jahren von seinem damaligen Teamchef Walter Godefroot zu T-Mobile-Zeiten wegen angeblich zu unsicherer Fahrweise für nicht Tour-würdig befunden wurde, verletzte sich am Ellenbogen, am Knie und an der Hüfte. Am Arm blutete er, seine Rennhose war zerfetzt. Aber offensichtlich erlitt Evans nur oberflächliche Blessuren, die er beim mobilen Tourarzt Gerard Porte («nichts Ernstes») behandeln ließ. Alejandro Valverde, der in den ersten Tourtagen gestürzt war, musste sich ebenfalls kurz versorgen lassen. Evans erreichte das Ziel neben Kirchen und Valverde.
Ricco, der nicht gerade zur Zurückhaltung neigt, bestätigte, dass er nach dem Giro eine Woche Strandurlaub eingelegt hätte. «Ich bin gekommen, um eine Etappe zu gewinnen. Ich habe jetzt schon zwei und habe die richtige Antwort auf die Polemiken der vergangenen Tage gegeben. Für Alpe d'Huez habe ich mir auch noch etwas vorgenommen», sagte der «Bergfloh», der sportlich dem verstorbenen Marco Pantani nacheifert.