Fontenay-le-Compte (dpa) - Auf den ersten 188 km nach 14 Monaten Rennpause hielt Jan Ullrich bei der Sarthe-Rundfahrt fast mühelos mit den Besten mit: Freundliches Hände schütteln mit Lance Armstrong vor dem Start ins Comeback, Schulter klopfen der Konkurrenz nach der ersten Etappe.
«Es ist, als bin ich nach einer langen Winterpause zurück - es lief sehr gut», freute sich der 29-jährige Olympiasieger, der im Ziel vier Ränge vor dem vierfachen Tour-Sieger Armstrong über die Linie rollte.
Trotzdem war die Stimmung danach im Ullrich-Lager eher mies als gelöst. Die Finanzquerelen seines Problem-Rennstalls zerren an den Nerven. Nach einem letzten Ultimatum des Internationalen Radsport-Verbande UCI hängt die Zukunft des Coast-Teams des Textilunternehmers Günther Dahms an einem besonders dünnen seidenen Faden.
«Wir haben alles gemacht. Jetzt ist Herr Dahms an der Reihe. Bis Freitag müssen die Anwälte eine Lösung gefunden haben», sagte Ullrich-Betreuer Rudy Pevenage vor dem Start zur 2. Etappe. Dem Einsatz des Belgiers war es zu verdanken, dass durch die kurzfristig gegebenen Finanzgarantien des italienischen Fahrrad-Herstellers Bianchi von der UCI unmittelbar vor dem Start wenigstens die vorläufige Fahrerlaubnis für Ullrich erteilt wurde. Bis Freitag fordert die UCI von Coast und Bianchi die Darlegung der Finanzverflechtungen - sonst droht Ullrich die Rücknahme der Lizenz.
«Zwei Minuten haben am Montag gefehlt, dann wären wir weg gewesen», sagte Pevenage. Der Wechsel zu einem anderen Team könnte jetzt allerdings trotzdem ganz schnell gehen, und dann wäre das Schicksal des Coast-Teams sicher besiegelt, das im Vormonat schon der zweifache Vuelta-Sieger Alex Zülle (Schweiz) Hals über Kopf verlassen hatte. Auch Zulieferer der Coast-Ladenkette in Nordrhein-Westfalen klagen über ausstehende Zahlungen.
«Wenn wir gehen, sieht es für das ganze Team schlecht aus. Hier fahren doch auch eine Menge Freunde von Jan. Deshalb will er unbedingt versuchen, wenigstens bis Oktober durchzuhalten. Aber wenn wir keine Lizenz haben, müssen wir uns natürlich umorientieren», meinte Pevenage, der weiter von «mehreren» möglichen Kandidaten spricht, die am «Paket Ullrich» interessiert seien. Am «Tropf» des Olympiasiegers hängen neben Pevenage, sein Bruder Stefan als Mechaniker, Team-Kollege Tobias Steinhauser und eine Physiotherapeutin.
Ullrich wurde der Presse von Coast-Sprecher Marcel Wüst in Fontenay-le-Compte präsentiert - mit der ausdrücklichen Maßgabe: «Nur sportliche Fragen.» Daran hielt sich der Tour-Sieger von 1997 und beschränkte sich artig auf ein Resümee seiner ersten Comeback-Kilometer: «Die Beine brummen ganz schön, und die Kraft, die ich noch brauchen werde, ist noch längst nicht da. Aber immerhin konnte ich an einer Steigung einmal ein Loch zufahren. Am Schluss habe ich den Zielstrich herbeigesehnt. Es ist schön, wieder dabeizusein und mit den Kollegen zu sprechen. Armstrong hat mir zur künftigen Vaterschaft gratuliert. Ich glaube, er will am Donnerstag das Zeitfahren gewinnen - ich werde da nur mitrollen.»
Sein zwei Mal operiertes Knie hätte ihm «keinerlei Schwierigkeiten» bereitet, «trotzdem lasse ich es weiter ruhig angehen. Mein eigentliches Comeback ist ja erst für kommendes Jahr geplant». Trotzdem werde er immer wieder auf die diesjährige Tour de France angesprochen: «Ein Platz auf dem Podium wäre ein Traum», so Ullrich, dessen theoretischer Rennplan bis zur Tour - egal, in welchem Team - in groben Zügen steht: Aragon-Rundfahrt, Rund um Köln, vielleicht Lüttich-Bastogne-Lüttich, Henninger Turm, Deutschland- Tour, Tour de Suisse.