Berlin (dpa) - Zwei Wochen nach seinem Doping-Geständnis hat der Ex-Radprofi Bernhard Kohl nachgelegt und die Radsport-Elite in Doping-Nähe gerückt.
In einem Interview mit der französischen Sportzeitung «L'Équipe» erklärte der inzwischen zurückgetretene Österreicher: «Die ersten zehn» der Tour de France 2008 «hätten positiv getestet werden können». Der Tour-Bergkönig wunderte sich, dass nur er, sein Team-Kollege Stefan Schumacher und der Italiener Riccardo Ricco in einem Nachtest positiv auf das EPO-Nachfolge-Produkt CERA getestet worden waren.
«Seltsamerweise wurden nur drei erwischt. Viel mehr haben es genommen», zitierte die «L'Équipe» Kohl, der die Tour im Vorjahr hinter Carlos Sastre (Spanien) und Cadel Evans (Australien) auf Rang drei beendet hatte. Sastre und Evans gehören auch in diesem Jahr wieder zum engsten Favoritenkreis. Der ehemalige Gerolsteiner Profi Kohl kehrte dem Profiradsport inzwischen den Rücken und will in der Doping-Prävention helfen. «Ich kenne die Regeln der Szene. Diejenigen, die auspacken, kommen nicht zurück. Deshalb wende ich mich anderen Dingen zu - ohne Bedauern», sagte der 27-Jährige der «L'Équipe». Er hätte keine B-Probe verlangt, weil er eingesehen hatte: «Die Maskerade ist vorbei».
Nach der bekannten Schilderung seiner Doping-Praxis während der vergangen Tour - «dreimal eine halben Liter Eigenblut vor den Bergetappen im Fahrer-Hotel» - zog Kohl erneut die Wirksamkeit der biologischen Pässe in Zweifel. Der Weltverband UCI hat seit Januar 2008 anhand von Blut-und Urin-Proben Blut-Parameter und den Hormon-Status von über 800 Profis bestimmt. Allerdings wurde bis jetzt noch kein einziger wegen Auffälligkeiten belangt, obwohl es bei einigen Profis Hinweise auf Unregelmäßigkeiten geben soll, wie an der Erhebung beteiligte Wissenschaftler behaupteten.
Die kostspielige Einführung der Pässe, die als wirksame Anti-Doping-Maßnahme gefeiert wurde, habe Kohl jedenfalls nicht von Manipulationen abgehalten. «In gewisser Weise war der Blutpass der UCI hilfreich. Die Topfahrer sind in ihrer Dopingpraxis so professionell, ihre Werte stabil zu halten, um nicht aufzufallen», sagte Kohl weiter. Die Werte aus den Pässen hätten in gewisser Weise als Richtschnur gedient.
Als junger Profi hätte er aus Kostengründen nicht in großem Stil gedopt. «Ich wusste, was die 'Großen' nehmen. Das wurde im Peloton geduldet». Doping sei allgegenwärtig gewesen. «Im Fahrerfeld habe ich keinen betrogen - da können Sie sicher sein», meinte Kohl, der mit seinen Aussagen einen Tag vor der großen Anti-Doping-Konferenz in Paris im Vorfeld der am 4. Juli beginnenden Tour de France für weiteren brisanten Gesprächsstoff sorgte.