Autun (dpa) - In den Alpen soll die große Stunde des Andreas Klöden schlagen. Am Sonntag hat er zum ersten Mal in seiner Karriere bei der Tour de France die große Chance, ins Gelbe Trikot zu schlüpfen - und so ein Zeichen im Kampf um den Chefposten im Astana-Team zu setzen.
Die dramatischen Ereignisse der 5. Etappe mit dem 1:20-Minuten-Zeitverlust seines Kapitäns Alexander Winokurows nach einem Sturz könnten schon ein Vorgriff auf einen Wechsel an der Teamspitze gewesen sein. Allerdings beendete auch Klöden die Etappe mit gesundheitlichen Problemen, er humpelte durch den Zielbereich und hielt sich den Rücken. Winokurow kam zur Beobachtung ins Krankenhaus.
Zwar versicherte Teamchef Mario Kummer, für Mutmaßungen über einen Machtwechsels an der Spitze des Teams sei es zu früh. Viele Hürden stünden bis zum erwarteten Klöden-Hoch auf 2068 Meter Alpenpass von Tignes noch im Weg und Winokurow bleibe «natürlich unser Kapitän». Doch viele Hindernisse hat der Astana-Profi, der 2004 als Zweiter und 2006 als Dritter schon ganz nah dran war am Trikot, selbst errichtet.
Von Teilen der deutschen Presse fühlt sich Klöden wegen der Doping-Berichterstattung fast verfolgt, er spricht nur mit wenigen Journalisten. Sein Team bietet Stoff für Spekulationen: Sein Zimmer- Nachbar Matthias Kessler ist nach einer positiven A-Probe suspendiert, genau wie der kurzfristig ausgeladene Tour-Kandidat Eddy Mazzoleni, gegen den das italienische Olympische Komitee wegen einer Doping-Affäre von 2004 ermittelt. Klöden, enger Freund von Jan Ullrich, wurde nie direkt mit Medikamenten-Manipulation in Verbindung gebracht, der Generalverdacht nagt aber auch an ihm. Beim «D-Thema» reagiert er ausgesprochen allergisch.
Auch sportlich hat er zu kämpfen, sogar innerhalb des Teams. Am Wochenende, besonders am Sonntag, könnte die pikante Situation entstehen, dass sich die beiden Astana-Kapitäne Winokurow und Klöden in den Alpen in die Quere kommen. «Es ist noch viel zu früh, eine Taktik für die schwerste Alpen-Etappe festzulegen. Vorausgesetzt beide haben die Stürze realtiv unbeschadet überstanden, werden wir in einer Besprechung festlegen, wie wir in die 8. Etappe gehen werden», sagte Kummer, wie Klöden und Kessler im Vorjahr noch in T-Mobile-Diensten.
Klöden fühlt sich in der Form seines Lebens. In diesem Sinne äußerte er sich auf der Pressekonferenz vor dem Tour-Start. Diese Sicht der Dinge scheint seine bisherige Saison, für die er sich zum ersten Mal nach langer Zeit ohne Krankheiten und Verletzungen vorbereiten konnte, zu bestätigen: Der 30-Jährige, seit Jugendzeiten im Spaß «Hilde» gerufen, gewann als erster deutscher Radprofi im März Tirreno-Adriatico, im Anschluss die Sarthe-Rundfahrt in Frankreich. Vergangenen Samstag schockte er beim Tour-Prolog in London bis auf den Schweizer Fabian Cancellara die versammelten Spezialisten. Klöden verlor nur 13 Sekunden auf Cancellara und machte die ersten 17 Sekunden auf Winokurow gut.
Im vergangenen Jahr wechselte er etwas überraschend an die Seite Winokurows. Hinter dem Rücken musste er sich nachsagen lassen, der Wechsel stehe auch in Verbindung mit den neuen stringenten Maßnahmen gegen Doping im T-Mobile-Team. Die Bonner hätten den einstigen Ullrich-Kronprinzen gerne behalten. Das angebotene Salär - geschätzte 1,5 Millionen pro Saison - soll in beiden Teams ähnlich hoch gelegen haben.
2003, als Ullrich für Bianchi die Tour fuhr, hätte Klöden bei Telekom tatkräftig für den damaligen Kapitän Winokurow arbeiten sollen. Klöden war dieser Aufgabe nicht in gefordertem Umfang nachgekommen. Diesmal soll es besser klappen, schließlich steht ein ganzes Land hinter Astana (so heißt die Hauptstadt Kasachstans) und Winokurow. Der Kasache hatte das Team im vorigen Jahr mit Hilfe eines potenten Wirtschafts-Konsortiums aus dem Boden gestampft. «Alexander ist unser Kapitän», hatte Kummer zum Tour-Start postuliert.
Der neben ihm sitzende Klöden relativierte sogleich: «Andrej Kaschetschkin und ich sind hier, um Alex zu helfen, aber wenn etwas dazwischen kommt, sind wir bereit, in die Lücke zu springen.» Blinder Gehorsam hört sich sicher anders an - das Wochenende über insgesamt vier Anstiege der 1. Kategorie dürfte brisant werden. Vielleicht macht ihn das Gelbe Trikot dann auch wieder etwas umgänglicher. «Beide Seiten müssen aufeinander zugehen, die Presse und er», sagte Kummer.
Auch Klödens Privattrainer Thomas Schediewie, auf Einladung des Fernsehsenders ZDF bei der Tour in Autun, kann das öffentliche Auftreten seines Arbeitgebers nicht ganz nachvollziehen. Schediewie drückte sich aber vorsichtig aus: «Das ist eine eigenartige Variante, sich quasi nur über die eigene Internetseite öffentlich zu melden. Aber ich akzeptiere natürlich, die Individualität eines jeden Profis, die sich auch so ausdrücken kann.»