Berlin (dpa) - Mit klaren Aussagen oder Schuldzuweisungen hielt er sich zurück: Trotzdem wurde der US-Anwalt Travis Tygart, der Doper Lance Armstrong zu Fall gebracht hatte, im Sportausschuss des Bundestages als Stargast hofiert.
Die Sportausschuss-Vorsitzende Dagmar Freitag hatte ihn im Oktober eingeladen. «Das Telefonat dauerte nur drei Minuten - ganz unkompliziert», berichtete die SPD-Politikerin von ihrem Coup, den im Moment vielleicht prominentesten Anwalt der USA in den Deutschen Bundestag gelotst zu haben. Tygart brachte Licht in die Hallen des Sportausschusses. Der smarte Jurist, schlank und drahtig, grauer Anzug, hellblaue Krawatte, kam, sprach und faszinierte. Vier Stunden gehörten ihm. Die Abgeordneten der Parteien nahmen seine Stichworte auf und nutzten sie zu Sticheleien.
Im Gegensatz zum «Löwen» Tygart, der mit seinen kompromisslosen Recherchen Megastar Lance Armstrong als systematischen Doper enttarnt und zur Strecke gebracht hatte, wirke die nationale Anti-Doping-Agentur NADA wie «handzahme Kätzchen», merkte der SPD-Politiker Martin Gerster an.
Die NADA wird wohl den einstigen Armstrong-Widersacher Jan Ullrich nicht aus seiner Ruhe bringen können. Auf entsprechende Anfragen sagte die Agentur-Chefin Andrea Gotzmann, erstens sei Ullrich, der sich immer noch um ein Doping-Geständnis drückt, in der Schweiz lizenziert gewesen. Zweitens habe ihn der Internationale Sportgerichtshof CAS zwei Jahre gesperrt.
Tygart ließ sich in seinem Ermittlungseifer gegen Armstrong auch nicht durch drei Morddrohungen bremsen. «Wir hatten danach die Sicherheitsvorkehrungen in unserem Büro und zu Hause verschärft», hatte er dazu lakonisch in einem «L'Équipe»-Interview bemerkt. Das FBI kümmere sich um seine Sicherheit. Unabhängige Top-Wissenschaftler und -Anwälte bilden den zehnköpfigen Aufsichtsrat der USADA, die jährlich über - zum Teil auch privat finanzierten - 14,4 Millionen Dollar verfügt. Vertreter aus Sportverbänden - wie in der NADA - finden sich nicht.
Unabhängigkeit geht Tygart über alles. Als Beispiel gravierender Interessenkonflikte nannte er den mittlerweile im Abseits stehenden Welt-Radsportverband UCI, mit dem Tygart früh die Zusammenarbeit in der Affäre Armstrong abbrach. Bei der Kalifornien-Rundfahrt hätte die UCI selbst die Kontrollen vorgenommen - auf EPO-Tests verzichtet, und das den Radprofis vorher auch mitgeteilt.
«Vertrauen und authentische Gespräche mit den Sportlern» seien zwei der Erfolgsgeheimnisse des nimmermüden Ermittlers Tygart, der - wie die NADA - auf staatliche Hilfestellungen verzichten muss. Er habe «keine Dokumente» der vorausgegangenen Nachforschungen des im Auftrag der US-Regierung ermittelnden Jeff Novitzky erhalten, sagte Tygart. Allerdings fügte er vielsagend an, dass er «Jeff» gut kenne. In Tygarts Klageschrift finden sich 26 Zeugenaussagen. Diese Zeugen hatte zuvor auch Novitzky gehört und zum Teil unter Eid vor der Grand Jury aussagen lassen.
Ein Bundesrichter hatte zu Beginn des vergangenen Jahres die Akte Armstrong völlig überraschend geschlossen. Der immer leugnende Ex-Star aus Texas hatte sich am Ziel gewähnt. Dann trat Tygart auf den Plan, der die Verfahrenseinstellung vor seinem Berlin-Trip in einem Zeitungsinterview «mysteriös» genannt hatte. In der Hauptstadt hielt sich der 41-jährige Staranwalt, der vor seinem Jura-Studium Philosophie studierte, mit klaren Aussagen oder Schuldzuweisungen zurück. Seine berufstypische Wendigkeit half ihm dabei.
Zum Abschluss seiner Deutschland-Reise besuchte er die in Bonn ansässige NADA, die im Sportausschuss neben der Lichtgestalt aus Florida etwas ins Abseits gedrängt wirkte. «Die Anti-Doping-Organisationen haben eine klare und deutliche Mission: die Rechte der sauberen Athleten zu schützen und die Integrität des Wettbewerbs zu bewahren», sagte Tygart am Donnerstag. «Wir wissen, dass die NADA unser Bekenntnis zur Zusammenarbeit teilt, insbesondere in den Bereichen der Ermittlungen und der Analyse.»