Tignes (dpa) - Es war die Fahrt in eine strahlende Zukunft. Als am 15. Juli 1997 Jan Ullrich in Andorra erstmals das Gelbe Trikot der Tour de France überstreifte und dann bis Paris nicht mehr losließ, jubelte Deutschland - ein Star war geboren.
Fast auf den Tag genau zehn Jahre später: Linus Gerdemann erkämpfte sich als erster deutscher Fahrer seit zwei Jahren wieder ein Gelbes Trikot - und die Radsport-Welt reagierte zurückhaltend. Und auch als Gerdemann das Trikot nach nur einem Tag wieder verlor, blieb auch da das Echo eher verhalten.
Nach Doping-Beichten und Zweifeln an einem sauberen Sport bleiben im Hals stecken. «Natürlich freue ich mich über den Sieg von Linus», sagte der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, Rudolf Scharping. «Aber wir sind noch längst nicht am Ziel im Antidoping-Kampf», fügte er hinzu.
Trotz der Geständnisse und Enthüllungen: Seit dem Tour-Start vor einer Woche ist das Interesse an der Frankreich-Rundfahrt wieder gestiegen. Hunderttausende säumten am Wochenende den Aufstieg in die Berge. Und mit der Fahrt in die Alpen gehen auch die Fernsehquoten in die Höhe. Bei der Berichterstattung der Medien hält sich die Jubelstimmung in Grenzen. Während Ullrich nach seinem ersten Etappensieg von den Journalisten fast erdrückt wurde, feierte Gerdemann im Hotel in Saint-Pierre-en-Faucigny nur im kleinen Kreis.
«Was ist ein Gelbes Trikot wert?», fragte skeptisch die «Bild am Sonntag» nach dem Gerdemann-Husarenritt nach Le Grand-Bornand. Vor zehn Jahren hatte das Blatt geschwärmt: «Jan, heute wirst Du unsterblich.» Die Sportzeitung «L'Equipe» hatte damals von einem «neuen Riesen» berichtet und «Le Figaro» vom «kaiserlichen Ullrich». Die «L'Equipe», die Doping eher für ein in Deutschland besonders wahrgenommenes Phänomen hält, schrieb, Gerdemann habe seinem «traumatisierten Land» wieder Hoffnung gegeben.
Nach schleppendem Interesse an der Tour zum Rundfahrt-Beginn sahen bis zu 2,5 Millionen zu. Im Tages-Durchschnitt waren es 1,47 Millionen. Das ist eine Quote von 16 Prozent, die jedoch ein gutes Stück entfernt ist von den mehr als 20 Prozent, die vor einem Jahrzehnt Ullrich begleiteten. Beim Prolog lag die Quote vor einer Woche in der ARD bei 9,4 Prozent, bei der ersten Etappe waren es gar nur sechs Prozent.
Noch an den ersten Tour-Tagen hatten die öffentlich-rechtlichen Sender, die sich in der Vergangenheit nicht gerade als Vorreiter profiliert hatten, sehr viel über Doping informiert. Das erwies sich als Quotenkiller. Der Sprecher des federführenden Saarländischen Rundfunks, Rudolf Ganz, berichtet von Briefen erzürnter Zuschauer, die sich weniger Doping- und mehr Sportberichte wünschten. Viele Fans wechselten zum Privatsender Eurosport, der mit der «D-Frage» nicht so offensiv wie ARD und ZDF umgeht und an den ersten Tour-Tagen seine Zuschauerzahlen auf bis zu 330 000 nahezu verdreifachte.
ARD, in Ullrichs Hoch-Zeiten sogar Team-Sponsor, und ZDF wollten in den kommenden Wochen wieder «die Balance zwischen Doping und Sport» suchen, sagte Ganz. Voraussetzung sei aber, dass keine neuen Fälle bekannt werden. Die Reporter wollten nun vor allem die Doping-Kontrollen unter die Lupe nehmen. Ganz: «Wir werden mit Kameras und Reportern beobachten, ob das alles korrekt vonstatten geht.»
Als «Erfolg für Radsport und Medien» sieht der ZDF-Teamchef auf der Tour, Peter Kaadtmann, die Enthüllung der nachlässigen Doping- Untersuchungen in den ersten Tour-Tagen durch seinen Sender. Diese Fehler seien vom Weltverband UCI behoben worden. Doch schlossen ARD-Programmchef Günter Struve und ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender bei neuen Doping-Skandalen einen Medienboykott gegen die Tour nicht aus.