Morzine-Avoriaz (dpa) - Kurz bevor sich ein mächtiges Gewitter entlud, zerplatzten die Tour-Träume von Tony Martin - jedenfalls was eine Top-Ten-Platzierung im Gesamtklassement betrifft.
Die große deutsche Tour-Hoffnung, die im Prolog knapp am Gelben Trikot vorbei geschrammt war, brach auf der ersten Alpenetappe völlig ein. Nun bleiben dem 25-Jährigen nur vage Aussichten auf eine «Auferstehung» wie 2009 und das abschließende Zeitfahren in Bordeaux.
«Ich hatte schlechte Beine, schon seit ein paar Tagen. Ich muss mit meinem Trainer analysieren, woran das liegt. Ich konzentriere mich jetzt auf Etappensiege», sagte Martin, als er 19:14 Minuten nach dem Tagessieger Sylvain Chavanel ins Ziel trudelte. Die erste Alpenetappe, vom Profil her eher harmlos, hatte ihn abrupt auf den Boden der augenblicklichen Tour-Realitäten zurückgeholt.
«Unser Thermometer im Wagen zeigte 42 Grad. Tony hat einen großen 'Motor', der gekühlt werden will. Wir haben heute der anstrengenden Woche Tribut gezollt. Außerdem müssen wir seit der zweiten Etappe den Ausfall von Adam Hansen kompensieren», so HTC-Columbia-Teamchef Rolf Aldag, der Gründe suchte für den rabenschwarzen Tag seines Schützlings, der im Vorjahr zwölf Tage das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers getragen hatte.
Eine der Hauptaufgaben Martins für die 97. Tour de France hatte gelautet: Einen Rückfall wie bei seinem Debüt 2009 - auf dem kleinen Sankt Bernhard hatte der 1,86-Meter-Mann im Ziel 16:40 Minuten eingebüßt - zu vermeiden. Das schlug am Samstag ordentlich fehl. Wahrscheinlich steckte dem 25 Jahre alten Eschborner auch die geleistete Tempoarbeit für den bisher zweimal erfolgreichen Sprinter Mark Cavendish in den Beinen.
«Als ich drei Minuten Rückstand zur Spitze hatte, habe ich rausgenommen und es laufen lassen», sagte Martin, der das Ziel in der Ski-Station des Rousses oberhalb des Genfer Sees bei drückender Schwüle kurz vor einem einsetzenden Gewitter erreichte. Mit ihm im «Gruppetto» fuhren Typen wie der schon etwas betagte Sprinter Alessandro Petacchi - alles andere als ein Mann des Gebirges.
Den Spagat zwischen sehr starkem Zeitfahrer und gutem Bergfahrer hat Polizeimeister Martin bisher meist gut hinbekommen. 2009 hatte er in den Alpen aber eine ähnliche Niederlage erlitten. In der Provence war er zurückgekehrt und hätte die Etappe auf den legendären Mont Ventoux um ein Haar gewonnen. Auf einen ähnlichen Reflex des deutschen Zeitfahrmeisters, der einen Sturz auf der Kopfsteinpflaster -Etappe am vierten Tour-Tag mit Schürfwunden überstanden hatte, hofft Aldag auch diesmal.