Avila (dpa) - André Greipel wirft die Blumen weg. Während das Bukett durch die Luft segelt, die Absperrung überfliegt und vom Publikum mit großem Jubel empfangen wird, hellt sich die finstere Miene des blonden Sprinters ein wenig auf.
Greipel hat gerade wegen einer Fehlkalkulation der Teams Columbia, Milram und Liquigas seinen vierten Tagessieg bei der Spanien-Rundfahrt verpasst. Sie hatten sich zu spät zur Verfolgungsjagd entschlossen. «Hätte Liquigas statt nur einem Fahrer früh zwei nach vorn abgeordnet, wäre das ganz anders gelaufen», sagte Columbias sportlicher Leiter Jan Schaffrath und ortete den Fehler bei der Konkurrenz. Greipel mochte gar nichts sagen.
Weil für den Seriensieger bei der Vuelta die Niederlage auf der 17. Etappe näher lag als seine drei Erfolge auf den Tagesabschnitten vier, fünf und 16, war er nach der verpassten Chance stocksauer. Der Mann ist trotz seiner insgesamt 18 Saisonsiege weiter hungrig und hat auch schon die WM am 27. September in Mendrisio/Schweiz im Blick. «Der Kurs ist nicht unbedingt für Sprinter geeignet. Aber bei Rennen wie diesen treffen solche Prophezeiungen oft nicht ein. Wir sollten nicht zu viel in Planspielen festlegen, sondern auf die jeweilige Rennsituation richtig reagieren», meinte Schaffrath, der bei einer möglichen Sprintentscheidung Greipel «beste Karten» prophezeit.
Der gebürtige Rostocker kostet das derzeitige Hoch aus - er hat in dieser Saison selbst verspürt, wie schnell man ins Jammertal stürzen kann. Auf den Gewinn der ersten Etappe der Australien-Rundfahrt im Januar folgte ein Sturz mit katastrophalen Auswirkungen: Schultereckgelenks-Sprengung und vier Monate Rennpause. Auch deshalb nutzt der früher von Jan-Ullrich-Entdecker Peter Sager trainierte Greipel den gegenwärtigen Moment aus und hamstert Erfolge.
Zu Vuelta- Beginn schlüpfte er für zwei Tage ins Goldtrikot des Führenden - als erster deutscher Radprofi nach Ullrich 1999. Nach der schweren zweiten Woche war er auf den Flachetappen erneut zur Stelle. Er steckte selbst eine Zurückstufung in der Punktewertung wegen Überschreiten der Karenzzeit weg. Zwei Tage später holte er sich das Grüne Trikot zurück, das ihm jetzt kaum noch zu nehmen sein wird.
Greipel wandelt auf den Spuren von Erik Zabel, der die Punktwertung der Vuelta dreimal - von 2002 bis 2004 - gewann. Er ist in Spanien auch endlich aus dem Schatten seines Teamkollegen Mark Cavendish gefahren. Bislang galt der 27-Jährige als Columbias Sprint- Trumpf für die Rennen, die nicht in den Terminkalender des schnellen Briten passten. Zur Tour de France wurde Greipel ausgemustert, und Cavendish räumte mit sechs Etappensiegen ab. Im nächsten Jahr fährt Greipel weiter für Columbia und kämpft um einen Platz im Tourteam. Eine gute WM-Platzierung könnte eine weitere Empfehlung dafür sein.