Mailand (dpa) - Einzelkämpfer gegen Tandem - Weltmeister Tom Boonen gegen das neue Erfolgsgespann Alessandro Petacchi/Erik Zabel: So lautet die Favoriten-Formel vor dem ersten Saison-Höhepunkt Mailand-San-Remo.
Für manchen hört sich das ein bisschen unfair an, aber Boonen braucht vor dem mit 294 Kilometer längsten Klassiker sicher kein Mitleid. Für seinen Team-Kollegen Kevin Hulsmans ist das Rennen bereits gelaufen. «Tom ist in der gleichen Position wie Petacchi im Vorjahr: Er kann einfach nicht verlieren», verkündete sein belgischer Landsmann.
Der 24-jährige Boonen hat aber unter Umständen ein großes Problem: Sein vermeintlicher Hauptkonkurrent - der direkte Vergleich in dieser Saison steht 2:1 für Petacchi - kämpft nicht allein. Gerade noch rechtzeitig präsentierte der einheimische Titelverteidiger im Finale von Tirreno-Adriatico Zabel als perfekten Helfer und führte die Arbeitsteilung im neuen Milram-Team als Erfolg versprechendes Zukunfts-Modell vor. «Ich bin stärker als im Vorjahr», machte Petacchi sich und seinen Fans Mut. Sein Team-Kollege Zabel wiederholte zuletzt 2001 einen Vorjahreserfolg in San Remo.
Die weiteren Trümpfe beim dritten ProTour-Rennen der Saison halten der dreimalige Weltmeister Oscar Freire (Spanien) und vielleicht Paolo Bettini in den Händen. Allerdings laboriert der superstark in die Saison gestartete Olympiasieger aus Italien noch an seinen Sturzverletzungen an der Hüfte und der rechten Hand vom Vorbereitungsrennen Tirreno-Adriatico.
Insgeheim träumt natürlich auch Zabel, noch ohne Saisonerfolg, vom fünften Sieg auf der Via Roma. Aber beim erwarteten Sprint nach der Abfahrt vom 162 Meter hohen Poggio sind Boonen und Petacchi, die Fahrer mit den meisten Siegen 2006, höher einzuschätzen. Nur wenn Petacchi beim drei Kilometer langen Schlussanstieg vor der Abfahrt auf die Zielgerade schwächeln sollte, könnte die Stunde des ehemaligen T-Mobile-Stars mit der Startnummer zwei schlagen. Dann bräuchte Zabel mindestens so starke Beine, wie bei seinem letzten ProTour-Sieg im Oktober 2005 beim Finish von Paris-Tours.
In die Phalanx der Siegaspiranten hat sich nach langer Durststrecke gerade zur rechten Zeit auch wieder Oscar Freire geschoben. Der Spanier gewann die «Classicissima» 2004, als er den zu früh jubelnden Zabel Zentimeter vor der Ziellinie noch abfing und in temporäre Depressionen stürzte. Er wird unterstützt vom hoch talentierten Thomas Dekker, der sich bei Tirreno-Adriatico den Gesamtsieg holte. Jan Ullrichs Leibarzt Luigi Cecchini traut dem 21- jährigen Niederländer eines Tages sogar den Toursieg zu.
Superstar Boonen, der seinen Wohnsitz nach Monte Carlo verlegte, um vor belgischen Groupies und den Steuerbehörden seines Landes sicher zu sein, brach Paris-Nizza nach drei Etappensiegen ab, um sich zu schonen. Sogar auf seinen Trainingsfahrten zieht er das Regenbogen-Trikot des Weltmeisters nicht aus.
«Obwohl ich den Poggio wie meine Westentasche kenne, bin ich die letzten 55 Kilometer des Rennens im Training zu Beginn der Woche noch abgefahren. Das Grüne Trikot bei der Tour de France und der Sieg in San Remo sind für mich kein Muss, aber eine große Herausforderung. Eines Tages werde ich mir beides holen», sagte Boonen, der im Frühjahr 2005 Paris-Roubaix und die Flandern-Rundfahrt gewann.