Köln (dpa) - André Greipel bleibt sich auch bei seinem letzten Hurra treu. Wenn am Sonntag beim Münsterland Giro der Vorhang seiner beeindruckenden Laufbahn fällt, wird es keine große Party geben.
«Ich bin natürlich stolz auf meine Karriere. Aber ich weiß ja nicht, wie ich dann drauf sein werde. Ich fahre mein Rennen und will dann auch meine Ruhe haben. So bin ich halt», sagte der 39-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Ganz der stoische Mecklenburger eben, den sich Greipel bei allen Erfolgen und Höhenflügen bewahrt hat.
Ob das mit der Ruhe so klappt, ist natürlich fraglich. Schließlich verbindet Greipel mit dem Rennen im Münsterland so einiges. «Es ist ein Jahr jünger als meine gesamte Karriere», betonte der gebürtige Rostocker. 2008 und 2014 gewann er am Schlossplatz, in diesem Jahr liegt das Ziel coronabedingt außerhalb der Stadtgrenze. Die Veranstalter werden sich dennoch etwas für den im Peloton nur «Gorilla» genannten Sprintstar überlegen und zahlreiche Weggefährten dürften wohl ebenfalls vorbeischauen.
Denn in Greipel geht nicht irgendwer. Der bullige Sprinter zählt mit 163 Profisiegen zu den erfolgreichsten Radsportlern der Geschichte. Nur Eddy Merckx, Mario Cipollini, Rik van Looy und Roger de Vlaeminck fuhren mehr Erfolge ein als der heute bei Köln lebende Familienvater. Und klappte es mal nicht mit dem Sieg, sprach man den zutiefst ehrgeizigen Greipel lieber nicht an. Selbst zu seinen erfolgreichsten Zeiten bei der Tour de France zwischen 2011 und 2016 schickte er gern seinen Kumpel und Anfahrer Marcel Sieberg vor, um Fragen zu beantworten.
Greipel gewann elf Etappen bei der Tour, sieben beim Giro d'Italia und vier bei der Vuelta. Unvergessen sind die giftigen Duelle mit Mark Cavendish, der Greipel einst unterstellte, er würde nur «beschissene, kleine Rennen» gewinnen. Nachtragend ist Greipel nicht. Als Cavendish bei der diesjährigen Tour ein sagenhaftes Comeback mit vier Etappensiegen feierte, war Greipel stets fairer Gratulant.
Zu seinen größten Konkurrenten zählte jahrelang auch Marcel Kittel. Der ist bereits seit 2019 Radsport-Rentner und freut sich nun darauf, mit Greipel mal in Ruhe einen Kaffee zu trinken. «Ich glaube, so wie er es gemacht hat, ist es richtig. Das ist ein toller Mensch, ein toller Rennfahrer. Er hat einen guten Abschluss hinbekommen», sagte Kittel der dpa. «Es bleiben viele tolle Erlebnisse und Ergebnisse für die Rennfahrer selbst, die den Profisport zehn bis 15 Jahre geprägt haben. Diese Sportler waren nicht nur sportlich besonders, sondern auch lautstark in Dopingfragen. Das ist ein besonderer Aspekt, der das besonders macht.»
Greipel ist im Peloton zuletzt einer der Wortführer gewesen. Bei der vergangenen Tour organisierte er einen Streik gegen die zu gefährliche Streckenführung. Dabei bekam auch der eitle Franzose Julian Alaphilippe eine Ansage vom «Gorilla» - und gehorchte.
Was nach dem Tag der Deutschen Einheit kommt, weiß Greipel noch nicht. Die Finger von seinem Rad wird er jedenfalls nicht lassen. «Radfahren macht mir weiterhin großen Spaß und ich werde meine Pumpe auch weiter hier und da gut belasten», sagte Greipel. Für sein persönliches Finale in Münster verzichtete der Routinier sogar auf den Klassiker Paris-Roubaix am selben Tag. «In Roubaix kann so viel passieren, da weiß man ja nie, ob man das Ziel auch erreicht.»
Der deutsche Radsport verliert nun in Greipel und Tony Martin zwei der prägenden Figuren der vergangenen 15 Jahre. Jetzt richtet sich der Fokus komplett auf andere Fahrer wie den Sprinter Pascal Ackermann, den früheren Tour-Vierten Emanuel Buchmann und den Klassiker-Spezialisten Maximilian Schachmann. Es ist ein enormes Erbe.