Le Grand-Bornand (dpa) - Bei der Gala der Großen blieb Linus Gerdemann bislang meist nur die Zuschauerrolle. Doch mit einem Coup am Ort seines größten Erfolgs will der Milram-Kapitän selbst noch mal ins ihm nicht unbekannte Rampenlicht fahren.
«An Le Grand-Bornard habe ich sehr positive Erinnerungen. Deswegen bin ich da besonders motiviert und möchte mich bestmöglich in Szene setzen», sagte Gerdemann vor der 17. Etappe nach Le Grand-Bornand. Am 17. Juli 2007 hatte der letzte Deutschland-Tour-Sieger nach einem Solo-Ritt durch die Alpen den Abschnitt in das Bergstädtchen gewonnen und für einen Tag das Gelbe Trikot an sich gerissen. «Für mich ist das die Königsetappe», meinte Gerdemann, der sich «nicht verstecken» will.
Nimmt man seine Leistungen aus den ersten beiden Wochen der 96. Tour de France als Maßstab, so käme eine Wiederholung jenes Glanztages einer Sensation gleich. Als 24. des Gesamtklassements hatte der 26 Jahre alte Radprofi vor dem Start der 16. Etappe bereits einen üppigen Rückstand von 8:20 Minuten auf Spitzenreiter Alberto Contador. Allein bei der ersten Bergankunft in den Alpen verlor er mehr als vier Minuten. Und so machte Gerdemann am Ruhetag in Verbier (Schweiz) keinen Hehl aus seiner Unzufriedenheit: «Der Zeitabstand ist nicht erfreulich. Ich bin nicht bei 100 Prozent und das ist natürlich bei der Tour auf diesem hohen Level zu spüren.»
Dass ihn der junge Cottbuser Tony Martin (Columbia-HTC) bei dieser Tour als deutscher Hoffnungsträger abgelöst hat, dürfte Gerdemann ebenfalls nicht unbedingt ermutigen. Zu allem Überfluss rangierte auch noch sein slowakischer Team-Kollege Peter Velits vor der zweiten Alpen-Etappe direkt vor ihm - laut Sportdirektor Christian Henn inzwischen als «Co-Kapitän». Nun soll ein Strategiewechsel Gerdemanns Tour retten. Nachdem sich im Team mehr und mehr die Gewissheit verfestigt hat, dass für den Münsteraner der angestrebte «Platz zwischen zehn und 15» doch nicht drin ist, will Gerdemann «auf einzelnen Etappen Akzente setzen». Henn räumt seinem Leader gute Chancen ein, mal in einer Fluchtgruppe wegzukommen: «Wenn du acht oder zehn Minuten Rückstand hast, lassen sich dich eher fahren.»
Bislang gab die Taktik der Dortmunder Equipe aber vielen Beobachtern Rätsel auf. Gerdemanns Attacke im Elsass am vergangenen Freitag, als er für einige Kilometer alleine zwischen zwei Gruppen die Berg- und Talfahrt bestritt, raubte unnötig Kraft. Und dass zwei Tage später kurz vor dem Schlussanstieg nach Verbier urplötzlich die blau-weißen Trikots an der Spitze zu sehen waren, verwunderte ebenfalls. Allerdings wiederholen alle Milram-Mitglieder einem Mantra gleich, «offensiv und aggressiv» fahren zu wollen. Dass dies oft just dann geschieht, wenn in Deutschland die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten auf Sender gehen, mag Zufall sein. Die von Sponsor und Team selbst in Gang gesetzte Diskussion über die «Mediadaten» spricht aber dagegen.