Meerbeke/Berlin (dpa) - Früher galt er als Lebemann und war Spezialist für die Friedensfahrt. Inzwischen hat sich der Radprofi Steffen Wesemann längst zum harten Arbeiter gewandelt - und fährt in der Hierarchie nun ganz vorne.
Mit seinem Sieg bei der 88. Flandern-Rundfahrt erklomm der 33-Jährige im elften Profijahr ein Monument des Radsports und erfüllte Team-Manager Walter Godefroot einen lange gehegten Wunsch-Traum. Der Protegé des Belgiers, der beim Telekom-Team in den 90er Jahren wegen zu lascher Arbeitseinstellung schon auf der Kündigungs-Liste stand, wird jetzt in einem Atemzug mit Rudi Altig genannt. Der hatte zuvor als einziger Deutscher den belgischen Klassiker über 257 km 1964 gewonnen.
Wesemann, der seit zwei Jahren von Trainer Thomas Schewidie betreut wird, hat sich als Schnellster einer dreiköpfigen Ausreißer-Gruppe das Siegen leicht gemacht. «So dünn habe ich ihn noch nie gesehen», staunte vor dem Rennen der in dieser Beziehung erfahrene Jan-Ullrich-Betreuer Rudy Pevenage, der bis 2003 den fünffachen Friedensfahrt-Gewinner als Teamchef mit betreut hatte. Wesemann bestätigte sein «Geheim-Rezept». Er habe im Winter in Arizona fünf Wochen «so hart und viel gearbeitet wie selten» und «die zwei, drei Kilo weniger habe ich hier an jeder der 18 Steigungen gemerkt», meinte der Sieger.
Beim dritten Weltcup-Rennen Paris-Roubaix könnte Wesemann weiter auf der Erfolgs-Welle reiten - er gilt als Top-Favorit. 2002 war er dort Zweiter, im Jahr davor machte ihm wahrscheinlich nur eine defekte Schuhsohle einen Strich durch die Rechnung. «Steffen ist der logische Favorit», sagte Godefroot, der sich sehr freute, dass ihm in seiner Heimat Flandern endlich einer aus seinem Team auf der Siegerliste folgte. Der jetzige T-Mobile-Manager gewann die «Ronde» zwei Mal (1968 und 1978).
Am Tag nach dem Sieg und einer ausgiebigen Feier war Wesemann auf dem Weg ins Flandern-Museum in Oudemar, in dem er in die «Hall of Fame» aufgenommen werden sollte. Am Ostersonntag könnte der Flandern-Sieger in das weiße Weltcup-Trikot fahren, das zur Zeit noch der Mailand-San Remo-Sieger Oscar Freire aus Spanien mit drei Punkten Vorsprung trägt. Spätestens dann wäre für den Familienvater auch die Jahres-Wertung ein großes Thema: «Nach dem übernächsten Rennen, dem Amstel-Gold-Race denke ich darüber nach», meinte Wesemann, der sich an dem Belgier Peter van Petegem ein Beispiel nimmt, der im Vorjahr das Double in Flandern und Roubaix schaffte.
«Am kommenden Sonntag bin ich in seiner Position aus dem Vorjahr. Die anderen müssen reagieren und ich kann cool abwarten», betonte Wesemann. Die Poker-Mentalität im Finale gegen die einheimischen Dave Bruylandts und Leif Hoste bescherte ihm den Sieg in Meerbeke.