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Blickt seiner 13. Tour de France entgegen: Tony Martin. Foto: Bernd Weißbrod/dpa
24.06.2021 11:06
Martin vor dem Tour-Start: «Pogacar unter Zugzwang setzen»

Brest (dpa) - Die Zeit der eigenen großen Siege ist für Tony Martin wohl vorbei. Dafür stellt sich der viermalige Zeitfahr-Weltmeister bei der am Samstag in Brest startenden Tour de France ganz in den Dienst des slowenischen Top-Favoriten Primoz Roglic.

Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur redet Martin über Roglic' Führungsqualitäten, das Sicherheitsproblem im Feld und die Atmosphäre unter Corona-Bedingungen.

Ziel Ihres Teams ist erneut der Gesamtsieg von Primoz Roglic. Was sind die Lehren aus dem vergangenen Jahr, als das Gelbe Trikot am vorletzten Tag noch verloren wurde?

Tony Martin: Wir wollen mit mehr Vorsprung in die vorletzte Etappe gehen. Nein, ernsthaft: Es geht natürlich darum, taktisch vielleicht ein paar Dinge anders zu machen und andere durch die Stärke unserer Mannschaft in Zugzwang zu bringen. Einer Situation wie im vergangenen Jahr wollen wir unbedingt aus dem Weg gehen.

Damals hat Ihr Team den späteren Sieger Tadej Pogacar praktisch durch Frankreich kutschiert.

Naja, man muss da auch erst einmal dran bleiben. Aber darum wird es gehen. Pogacar und auch das Team Ineos sollen in speziellen Momenten unter Zugzwang gesetzt werden. Da gehört dann auch dazu, dass wir je nach Rennsituation das stupide von vorne Fahren abstellen.

Was wird Ihre Rolle sein?

In den Zeitfahren habe ich vom Team alle Freiheiten bekommen. Ansonsten bin ich klar als Helfer für Primoz vorgesehen. Man wird mich oft im Wind sehen. Wenn man das Gelbe Trikot gewinnen will, kann man sich nicht erlauben, individuelle Ziele zu verfolgen.

Finden Sie darin Erfüllung?

Wenn Primoz es perfekt macht und gewinnt, bin ich sehr zufrieden. Ich bin nicht mehr stark genug, um selber um Etappensiege zu fahren, und deshalb stelle ich mich voll in den Dienst meines Kapitäns.

Roglic wirkt immer sehr ruhig. Wie nehmen Sie ihn wahr, was prägt seinen Charakter?

Es stimmt, er ist ruhig und gelassen. Er weiß, was er kann und ist von sich überzeugt, ohne dabei arrogant zu wirken. Diese Selbstsicherheit überträgt er auch auf das Team. Er weiß genau, was er will, und das Team folgt ihm. Es wäre für uns eher eine Überraschung, wenn er seine Leistung einmal nicht bringen würde.

Wie ist man im Team mit der herben Niederlage im vergangenen Jahr umgegangen?

Primoz tat es weniger um sich, sondern eher um die Mannschaft leid. Er ist natürlich immer noch unser unumstrittener Leader. Eine große Nachbesprechung gab es nicht. Das war auch gar nicht nötig, weil wir nicht durch einen Fehler verloren haben, sondern weil ein anderer Fahrer eine unglaubliche Leistung gezeigt hat. Das muss man akzeptieren.

Sie selbst sagen, Sie können nicht mehr um die große Siege mitfahren. Ihr Status im Peloton ist dennoch enorm groß. Woher kommt das?

Der Respekt kommt sicherlich mit den vergangenen Erfolgen, aber auch durch meine Erfahrung. Dadurch habe ich im Fahrerfeld ein gewisses Standing. Ich muss mich aber nicht in den Mittelpunkt stellen.

Wie im vergangenen Jahr in Nizza, als Sie das ganze Feld bremsten, weil der Kurs durch die Regenfälle zu gefährlich geworden war.

Da ging es ja nicht um mich, sondern um das Gemeinwohl des Feldes.

Es gab in Sachen Sicherheit einige Änderungen. Nehmen Sie das als Fortschritt oder Aktionismus wahr?

Um ehrlich zu sein, ist das viel Aktionismus. Ich denke nicht, dass sich viel getan hat. Es ist viel Augenwischerei dabei. Ich kenne niemanden, der gestürzt ist, weil er in einer Abfahrt auf dem Oberrohr saß oder in einer aerodynamischen Position auf dem Rad. Im Endeffekt können jetzt wieder ein paar Strafen mehr kassiert werden. Aber schlecht abgesicherte Strecken mit unnötigen Hindernissen gibt es noch immer. Den großen Sprung haben wir nicht gemacht. Manchmal macht mich das rat- und sprachlos. Wir sind in den vergangenen Jahren sehr glücklich davongekommen und müssen nun wohl weiter mit der Hoffnung fahren, dass nichts passiert.

Die Corona-Regelungen wurden in diesem Jahr etwas gelockert. Ein Team wird nur ausgeschlossen, wenn zwei Fahrer innerhalb von sieben Tagen positiv getestet werden. Was halten Sie davon?

Ich finde das sinnvoll und freue mich, dass die Wahrscheinlichkeit damit gesunken ist, aus nichtsportlichen Gründen aus dem Rennen auszuscheiden. Denn ganz ehrlich, wenn ein Mechaniker positiv getestet wird, hat das mit den Fahrern nicht zwingend was zu tun. Von daher ist es ein Schritt nach vorn.

Hoffen Sie auf richtige Tour-Stimmung in diesem Jahr?

Im vergangenen Jahr war in der ersten Woche wenig los, dann wurde es immer mehr. In der letzten Woche war es schon fast so wie früher. Ich hoffe natürlich auch in diesem Jahr auf gute Stimmung, das hilft als Sportler. Andererseits ist da ein mulmiges Gefühl, ob es gleich die ganz große Veranstaltung sein muss oder man die wieder gewonnene Freiheit nicht lieber für kleine Sachen wie einen Restaurantbesuch nutzen sollte.


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