Bagnères-de-Luchon (dpa) - Mit versteinerter Miene holte sich Andy Schleck sein Weißes Trikot als bester Jungprofi ab. Zu einem kurzen Lächeln schien sich der Luxemburger bei der Siegerehrung regelrecht zwingen zu müssen.
Schleck hatte das Gelbe Trikot des Gesamtführenden der 97. Tour de France an seinen größten Kontrahenten und Vorjahressieger Alberto Contador verloren - nach einem Angriff des Spaniers just in dem Moment, als Schleck von einem technischen Defekt ausgebremst worden war. «Bei meiner Attacke habe ich von Andys Panne nichts bemerkt», rechtfertigte sich der Astana-Kapitän später.
Der Unterlegene - nach der Pleite erwartungsgemäß wortkarg - sagte lediglich: «Ich würde Gelb nicht auf diese Weise gewinnen wollen.» «Nachweinen» will Schleck seinem eigenen Malheur aber nicht, «so etwas passiert». Acht Sekunden liegt der Profi vom Team Saxo-Bank nun hinter Contador, vor der 15. Etappe von Pamiers nach Bagnères-de-Luchon war der 25-Jährige noch eine halbe Minute vorn. Schlecks Traum vom ersten Tour-Gesamtsieg hat einen schweren Dämpfer erhalten - zwei Pyrenäen-Etappen bleiben nur noch für eine Revanche. Im abschließenden Zeitfahren von Bordeaux hat er gegen Contador ohnehin schlechtere Karten.
Ausgerechnet in dem Augenblick, als der Luxemburger selbst zu einer Attacke unterhalb des Gipfels des Port de Balès angesetzt hatte, bremste ihn seine Kette, die vom Zahnkranz sprang. Contador nutzte das gnadenlos aus - zurecht, findet Teamkollege Alexander Winokurow. «Alberto konnte gar nicht anders, als in dem Moment mitzugehen, weil es Menschow und die anderen auch taten. Alle gaben 100 Prozent», sagte der Kasache, der Schleck ebenfalls nachgehetzt war.
Im Ziel sorgte die Aktion des Vorjahressiegers für hitzige Diskussionen. Unfair fanden manche den Angriff, andere verwiesen dagegen auf das Tour-Teilstück nach Spa, wo Contador schon einmal auf Schleck, der gestürzt war, wartete. «Fair Play oder nicht - ich kann es nicht sagen», meinte Schlecks Teamchef Bjarne Riis zur Attacke gegen seinen Schützling. Der Däne stellte aber fest: «Schon einmal wurde eine Tour mit acht Sekunden Vorsprung gewonnen.» Damit verwies er auf 1989, als der Amerikaner Greg LeMond den bislang knappsten Tour-Erfolg der Geschichte gegen Laurent Fignon herausgefahren hatte.
Den Tagessieg nach 187,5 Kilometern sicherte sich der französische Meister Thomas Voeckler, der sich am letzten Berg aus einer Ausreißergruppe gelöst hatte. Er feierte einen umjubelten Solosieg - den insgesamt fünften für die Gastgeber.
Viele Attacken aus dem Feld waren zu Beginn der 15. Etappe im Keim erstickt worden. Nach rund 75 Kilometern klappte es schließlich: Zehn Profis konnten sich auf der Pyrenäen-Tour mit insgesamt vier Anstiegen der moderateren Art vom Hauptfeld absetzen. Zum ersten Mal während der Tour schaffte mit Luke Roberts auch ein Fahrer der viel gescholtenen Milram-Equipe den Absprung.
Vor dem 1755 Meter hohen Port de Balès waren die Ausreißer immer noch fast zehn Minuten vor dem Feld, so dass ihre Chancen auf ein Durchkommen groß waren. Zwar verloren sie auf dem Schlussanstieg noch viel von ihrem Vorsprung, aber die meisten von ihnen kamen durch. Roberts musste auf der Schlusssteigung dagegen abreißen lassen.
Die Tour passierte auf dem Col de Portet d'Aspet auch die Stelle, an der 1995 der italienische Armstrong-Teamkollege Fabio Casartelli zu Tode gestürzt war. Einige Fahrer bekreuzigten sich, als sie an dem mit Blumen geschmückten Gedenkstein vorbeifuhren. 60 Kilometer später ereignete sich ein Sturz, in den drei Fahrer verwickelt waren.