Nimes (dpa) - Das Chaos um das Skandal-Team Saunier Duval hält die 95. Tour de France weiter in Atem. Doch die Renn-Direktoren kämpfen mit einem rigiden Anti-Doping-Kurs und pathetischer Rhetorik unbeirrt um die zur Tour de Farce verkommene Frankreich-Rundfahrt.
Zugleich werden zehn Jahre nach dem Festina-Skandal selbst im Tour-verrückten Gastgeberland die Stimmen immer lauter, den «Zirkus», wie die «Libération» schrieb, zu beenden. Das Rennen habe nach dem dritten Dopingfall «seine gesamte Glaubwürdigkeit» verloren. «So macht es keinen Sinn mehr. Meine Herren vom Radsport: Jetzt stoppt alles!», forderte der italienische «Corriere dello Sport». Das Bulletin der spanischen «El Mundo» lautete: «Der Radsport und die Tour siechen langsam vor sich hin.»
Besserung scheint weit und breit nicht in Sicht. Nach einem Bericht der «L'Équipe» ist «noch mindestens ein weiterer Fahrer des Saunier-Duval-Teams», das nach dem Dopingfall Riccardo Ricco die Tour verlassen hat, positiv auf das neue EPO-Präparat CERA getestet worden. Dabei könnte es sich um dessen Team-Kollegen Leonardo Piepoli, Montag Sieger der schwersten Pyrenäen-Etappe in Hautacam, handeln. Er und Ricco, gegen den trotz seiner Unschuldsbeteuerungen am Freitag Anklage erhoben wurde, sind von der Teamleitung entlassen worden. Saunier Duval denkt über die Fortsetzung seines Sponsorings nach.
Der Staatsanwalt von Foix, Antoine Leroy, leitete gegen Ricco ein Ermittlungsverfahren wegen «des Gebrauchs verbotener Substanzen» ein. In dessen Hotelzimmer seien Spritzen und anderes medizinisches Material gefunden, jedoch keine Dopingsubstanzen. Ricco wurde nach der Anhörung im Gerichtsgebäude in Foix unter Auflagen freigelassen, darf vorerst keinen Kontakt zu seinen Team-Kollegen aufnehmen und wird laut Staatsanwalt nach Italien zurückkehren. «Ricco hat bestritten, EPO genommen zu haben und gab keine Erklärung, wie das EPO in seinem Urin gefunden werden konnte», sagte Leroy. Der diesjährige Giro-Zweite riskiert laut «L'Équipe» eine Haftstrafe von zwei Jahren wegen des Besitzes und der Einnahme verbotener Medikamente.
Für Tour-Chef Christian Prudhomme kommt ein Stopp des seit 1903 gefahrenen Klassikers auch nach dem «TV-Krimi» (Milram-Profi Christian Knees) um Ricco nicht infrage. «1904 gab es schon Dopingfälle. Damals wollte der Renndirektor die Tour absagen, aber daran denken wir heute gar nicht. Wir kämpfen weiter und werden gewinnen. Doping ist der Feind, nicht eine Sportart und nicht eine Veranstaltung», meinte der Tour-Patron, der die TV-Rechte vor der 95. Frankreich-Rundfahrt für 23 Millionen Euro bis 2013 verkauft hat.
Auch ARD und ZDF, die im Vorjahr nach Bekanntwerden des Dopingfalles Sinkewitz aus der Live-Übertragung ausstiegen, halten weiter treu zur Tour. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender schloss in der «Welt» einen Ausstieg «zum jetzigen Zeitpunkt» aus: «Das heißt aber nicht, dass nicht Ereignisse eintreten könnten, auch bei dieser Tour, die uns zu Entscheidungen zwingen, die auch einen Abbruch der Berichterstattung zur Folge hätten». Dies wäre etwa «bei einem systematischen Doping der Fall. Wenn das System der Tour de France dies mit bedingt, dann müssen wir da raus.»
Tour-Direktion, Profis und Teamchefs scheinen sich offensichtlich auf einen etwas kruden Argumentations-Kodex geeinigt zu haben. Reflexartig kehren Formulierungen nach der Formel 9Jeder positive Test ist ein Fortschritt, weil er die Effektivität der Kontrollen beweist9 wieder. «Das Gute ist: Die Kontrollen scheinen zu funktionieren und so werden sie die Schlaumeier finden, die immer noch glauben, die Rennveranstalter, die Zuschauer und uns Fahrer betrügen zu müssen», sagte etwa der deutsche Meister Fabian Wegmann. Der Italiener Damiano Cunego wähnt den Radsport «auf dem richtigen Weg». Ein sauberer Radsport sei «nur zu bekommen, wenn vorher saubergemacht wird», meinte Prudhomme.
Gefahr für die olympische Sportart besteht nicht, wie schon am Vortag DOSB-Präsident Thomas Bach klargemacht hatte. «Solange die UCI gründlich testet - und das tut sie - halten wir davon Abstand. Nicht die UCI-Funktionäre sind schuldig, sondern die Athleten. Es gibt genügend saubere Fahrer, die man nicht bestrafen sollte, weil andere betrügen», sagte IOC-Präsident Jacques Rogge. «Ich hatte gehofft, dass die neue Generation ihren Sport mit einer neuen Einstellung betreibt, aber man sollte nicht naiv sein. Trotz allem gibt es Anzeichen, dass es besser wird.»
Zumindest Riccos spanischer Equipe Saunier Duval traut selbst Prudhomme nicht mehr über den Weg. «Ihr Manager Mauro Gianetti ist ein Mann von schlechtem Ruf», sagte der Franzose. Auf die Frage nach systematischem Doping der Spanier, wagte sich Prudhomme sogar weit aus dem Fenster: «Ich weiß nicht, ob sie es organisiert betreiben. Aber was ihre Fahrer auf dem letzten Anstieg nach Hautacam gezeigt haben, schien mir doch etwas zu eindrucksvoll zu sein.»
Sandro Donati, Mitglied der Anti-Doping-Kommission des italienischen Gesundheits-Ministeriums, stellt allen Tour-Teilnehmern ein bedenkliches Attest aus: «Glauben Sie, dass die Konkurrenten von Ricco nichts nehmen?», fragte der Professor in einem Interview mit der «Libération». Laut Donati sind «diejenigen, die nicht positiv sind», nur deshalb bisher unauffällig, weil «sie erfolgreich dabei waren, es nicht zu sein». Im Klartext: Alle sind gedopt.