Rom (dpa) - Italiens oberster Dopingjäger Ettore Torri stellt den Kampf gegen Doping als aussichtslos dar und kann sich sogar die Freigabe von leistungssteigernden Mitteln vorstellen.
Es seien ohnehin alle Radprofis gedopt und der Medikamentenmissbrauch nicht auszumerzen, sagte der Vorsitzende der italienischen Anti-Doping- Kommission der Nachrichtenagentur AP und sorgte damit international für großes Aufsehen.
Als er merkte, welch hohe Wellen seine Aussagen schlugen, ruderte der 78-jährige Jurist zurück. Er habe sich nicht für eine Straffreiheit bei Dopingvergehen ausgesprochen, teilte einer der weltweit bekanntesten Dopingfahnder nach einem Gespräch mit dem Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees Italiens (CONI), Giann Petrucci, in Rom mit.
Der schnell einberufene Krisengipfel konnte die Wogen jedoch nicht mehr glätten: «Torris Aussagen klingen so, als sage ein Antimafia- Staatsanwalt, alle Sizilianer seien Mafiosi, und wenn es dem Staat nicht schade, solle man das organisierte Verbrechen legalisieren», empörte sich die «Gazzetta dello Sport».
Torri hatte alle Radprofis kollektiv des Dopings bezichtigt. «Das sage nicht nur ich», betonte Torri. «Alle Radprofis, die ich in letzter Zeit befragt habe, sagten, dass jeder dopt», untermauerte er seine Position. Der Dopingkampf sei schlichtweg nicht zu gewinnen. «Je länger ich mich damit beschäftige, umso erstaunter bin ich, wie weit Doping verbreitet ist. Es wird sich nicht ausmerzen lassen», meinte der frühere Staatsanwalt.
Immer wieder würden neue, zunächst nicht nachweisbare Substanzen eingesetzt. «Die Anti-Doping-Einrichtungen sind immer hinter den Dopern zurück», meinte Torri. Testverfahren würden durch geschickte Betreuer unterlaufen. «Diese Trainer machen ihren Job wirklich gut. Sie sind in der Lage, gerade so viel einer Substanz zu verschreiben, dass sie unter den Grenzwerten bleibt», erklärte Torri.
Dies und die Tatsache, dass nach seiner Meinung alle Radprofis dopen und nur einzelne erwischt werden, veranlasste Torri offenbar dazu, eine Dopingfreigabe als mögliche Lösung ins Gespräch zu bringen, wenn die Gesundheit der Radfahrer nicht gefährdet würde. «Es ist nicht fair, wenn wir einen von 100 des Dopings überführen, aber die anderen 99 auch gedopt haben, ohne dass sie bestraft werden», meinte er.
Torri hat seit 2006 für das CONI unter anderem Doping-Ermittlungen gegen die Giro dItalia-Sieger Ivan Basso und Danilo Di Luca sowie Rad-Stars wie Alessandro Petacchi, Alejandro Valverde und Riccardo Ricco geführt. Diese Fälle hält er ebenso wie die jüngste Affäre um Tour de France-Sieger Alberto Contador nur für die Spitze des Eisbergs.
Spekulationen, dass Torri beim mühsamen Abarbeiten dieser Fälle amtsmüde geworden sein könnte, trat der 78-Jährige entgegen. «Ich gebe auf keinen Fall auf», betonte Torri. Er räumte jedoch nach Angaben der «Gazzetta dello Sport» eine gewisse Überforderung ein. Derzeit arbeitet Torris CONI-Stab mit neun Staatsanwaltschaften in Italien zusammen. Diese operieren auf Basis des scharfen Anti-Doping- Gesetzes in Italien mit Hilfe von Durchsuchungen, Abhöraktionen und Vorladungen sehr viel effizienter im Kampf gegen Dopingdealer und - sünder als die Sportverbände.