Macon (dpa) - Die Risiken sind zu groß, Erfolgsaussichten nicht vorhanden: Tony Martin hat seine verkorkste Tour de France wie erwartet vorzeitig abgebrochen. Seine Mutter holte ihn am Dienstag ab und fuhr den traurigen Filius mit dem Auto nach Hause.
Nach einer Woche Schinderei mit gebrochener Hand will sich der Radprofi in Ruhe auf sein Jahresziel vorbereiten, das olympische Einzelzeitfahren am 1. August in London. «Ich hatte mir bei der Tour mit dem Team so viel vorgenommen. Es ist schwer für mich, jetzt auszusteigen und meine Teamkollegen bei ihrem Kampf alleinzulassen. Aber das ist die richtige Entscheidung», sagte der 27-Jährige, bei dem noch einmal eine Röntgenaufnahme im Krankenhaus vorgenommen worden war.
Seit seinem Kahnbeinbruch am zweiten Tour-Tag konnte der gebürtige Cottbuser dem Feld nur noch hinterherfahren. Zusammen mit Teamarzt Helge Riepenhof entschied er nach dem Zeitfahren am Montag - seiner Generalprobe für Olympia - den Schmerzen ein Ende zu bereiten. Der Mediziner erzählte: «Ich habe ihn gefragt: Wofür willst du weitere Risiken eingehen?» Durch die Einschränkung der linken Hand und der dadurch geänderten Sitzposition auf dem Rad hätte Martin andere Beschwerden riskiert, wie Rückenprobleme. «Du musst deinem Körper nicht weiter schaden», meinte Riepenhof.
Martin hat nur noch knapp drei Wochen Zeit bis zum Kampf gegen die Uhr bei Olympia, nun muss er die Balance finden zwischen Training und Regeneration. «Tony wird viel hinter einem Motorrad trainieren und viel mehr auf der Zeitmaschine sitzen als sonst», kündigte Riepenhof an. Mit dem Straßenrad soll er nur kurze, harte Berge fahren. «Je mehr das Zusammenwachsen der Knochen voranschreitet, umso geringer sind die Schmerzen.» Aber auch in London wird er außer im Zeitfahren seine Kunststoffschiene zur Stabilisierung seines Bruches tragen.
In den vergangenen Tagen litt Martin vor allem bei den Abfahrten, weil Fliehkräfte und Bremsvorgang die linke Hand am heftigsten beanspruchen. «Ich will nicht, dass es in den Bergen noch schlimmer wird», sagte der Radprofi. «Ich kann mir nicht vorstellen, weiter am Ende des Feldes zu fahren, und jeden Tag ein bisschen mehr zu leiden.»
Dass der Zeitfahr-Weltmeister durch seine Verletzung, die bis London bei weitem noch nicht ganz ausgeheilt sein wird, nicht mehr zu den ersten Anwärtern auf Gold gehört, dürfte Martin klar sein. «Ich weiß, es wird nicht einfach, aber ich werde alles daran setzen, um für Olympia in Form zu kommen.»
Ein Bild von den Stärken der Konkurrenten hatte er sich schon am Montag machen können, als der Tour-Führende Bradley Wiggins das gesamte Feld in den Schatten stellte und selbst dem Zeitfahr-Olympiasieger Fabian Cancellara fast eine Minute abnahm. «Cancellara wird schwer zu schlagen sein», prognostizierte Riepenhof, «weil ich davon überzeugt bin, dass er die Tour nicht beendet».
Martin fiel seine Entscheidung auch wegen der Teamkollegen schwer - deshalb absolvierte er am Dienstag noch ein letztes Training mit den Omega-Fahrern. «Er wollte als Kapitän zeigen, dass es ihm leidtut», berichtete Riepenhof. «Ich weiß, dass meine Teamkollegen den Schritt verstehen», sagte Martin.
«Es kann sein, dass er erst mal zwei, drei Tage gar kein Rad anfasst», vermutete sein Manager Jörg Werner. «Das Wichtigste ist, die Enttäuschung zu verarbeiten. Danach wird er mit seinem Coach Sebastian Weber Trainingspläne für Olympia ausarbeiten», meinte Werner, bevor Martin die Heimreise nach Kreuzlingen an die Schweizer Seite des Bodensees antrat.
Erbauliches vernahm er noch von seinem Nachbarn Jan Ullrich, der in seinem Blog für «Eurosport.yahoo.de» schrieb: «Bei so viel Pech kann er in London eigentlich nur Gold holen. Sein Ausstieg aus der Tour kam zum rechten Zeitpunkt.»