Glasgow (rad-net/dpa) - Mathieu van der Poel ist neuer Straßen-Weltmeister. Nach einem ereignisreichen 270 Kilometer langen Rennen von Edinburgh nach Glasgow siegte der Niederländer als Solist und ließ sich auch nicht von einem Sturz aufhalten. Wout van Aert (Belgien) wurde Zweiter, Tadej Pogacar (Slowenien) Dritter. John Degenkolb wurde guter 16.
«Das ist unglaublich. Ich kann mir das noch gar nicht vorstellen, im Regenbogentrikot zu fahren. Wenn ich den Titel nicht geholt hätte, hätte ich schlaflose Nächte gehabt», sagte der niederländische Radstar. Er hatte am Ende einer dramatischen Triumphfahrt mit zerfetztem Trikot und blutigem Ellbogen erstmals die WM-Krone im Straßenradrennen erobert. Unbeeindruckt von einem heftigen Sturz auf den rutschigen Straßen von Glasgow feierte van der Poel mit Tränen in den Augen ein Jahr nach dem Alptraum auf einer australischen Polizeiwache sein persönliches Happy End. «Das fühlt sich wie eine Revanche für letztes Jahr an», so van der Poel.
Nach einigen Angriffsversuchen hatte sich bald nach dem Start eine siebenköpfige Ausreißergruppe vom Feld gelöst, die bis zu acht Minuten Vorsprung herausholte. Allerdings musste das Rennen dann nach rund 80 Kilometern unterbrochen werden, da einige Protestler sich auf der Straße festgeklebt hatten. Es dauerte fast eine Stunde, ehe die Strecke wieder befahren werden konnte. Die Spitzengruppe startete wieder mit ihrem alten Abstand, doch im Feld wurde das Tempo direkt nach dem Neustart ordentlich angezogen, da es kurz danach in den ersten längeren Berg ging. Dadurch dezimierte sich das Peloton bereits.
Ausgerechnet am Fuße des Anstiegs erlitt Nils Politt Hinterradschaden. Zwar kämpfte er sich zurück, doch das kostete den 29-Jährigen viel Kraft. Kurz darauf hatte dann auch noch Jannik Steimle einen Defekt zu beklagen und musste sich ebenfalls zurückkämpfen. Das war keine optimale Ausgangslage für das deutsche Nationalteam. «Wir standen eine Stunde still, nachdem wir schon die ersten Positionskämpfe hatten. Dann da nass geschwitzt so lange zu stehen, ist überhaupt nicht schön. Ich hatte zu einem ziemlich schlechten Zeitpunkt einen Platten. In diesem Moment sind auch die kleineren Nationen abgehängt worden und dann wurde eine Barrage gemacht. Ich hing da genau dazwischen, musste sehr, sehr viel Energie aufwenden, um überhaupt wieder ins Feld zu kommen. Ich habe es geschafft, aber war erst kurz vor der Runde wieder drin und habe dann einfach nicht die Position gehabt», erklärte Politt nach dem Rennen.
Als es die 14 Kilometer lange Zielrunde in Glasgow, die zehnmal zu umrunden war, erreicht war, fiel die Spitzengruppe allmählich auseinander. Nach und nach wurden die Ausreißer eingeholt, während bei noch rund 105 zu fahrenden Kilometern auch das Feld komplett auseinanderiss. Vorne lagen nun rund 30 Fahrer und ab diesem Zeitpunkt zeigten sich die stets die Favoriten vorne, verschärften immer wieder das Tempo und machten es zu einem richtig schweren Rennen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich auch John Degenkolb noch vorne.
54 Kilometer vor dem Ziel schaffte es dann Alberto Bettiol (Italien) aus diesem Rest-Feld davonzufahren und bestimmte fortan das Finale maßgeblich. Er holte bis zu 45 Sekunden Vorsprung heraus und verteidigte lange einen Abstand von rund 20 Sekunden. Hinter ihm hatte sich eine vierköpfige Verfolgergruppe mit Van der Poel, Van Aert, Pogacar und Mads Pedersen (Dänemark) gebildet, die zunächst nicht näher zu kommen schien. Doch schließlich verließen Bettiol die Kräfte und als er 22 Kilometer vor dem Ziel ins Blickfeld der Gruppe kam, attackierte Van der Poel. Er schüttelte seine drei Rivalen ab und flog an Bettiol vorbei. Auch das Verfolgertrio überholte den ehemaligen Spitzenreiter.
Doch ein Sturz eingangs der Schlussrunde hätte beinahe noch den Sieg von Van der Poel zunichte gemacht. Er war eine Kurve zu schnell angegangen und rutschte auf regennasser Straße weg. Doch der 28-Jährige sprang sofort wieder auf, hatte noch rund 30 Sekunden Vorsprung auf seine Verfolger und baute diesen trotz Sturz und dadurch kaputtem Schuh wieder aus. Am Ende siegte er mit 1:37 Minuten Vorsprung vor Van Aert, der sich auf den letzten Metern von Pogacar und Pedersen hatte lösen können. Die beiden machten Bronze im Sprint unter sich aus, wobei sich Pogacar knapp durchsetzte.
Degenkolb war am Ende bester deutscher Fahrer und kam als 16. mit 8:30 Minuten Rückstand mit einer Verfolgergruppe ins Ziel. Jonas Rutsch wurde 41.
«Es ist ein ehrliches Ergebnis. Die stärksten Fahrer sind vorn», sagte Teamchef André Greipel nach dem Rennen. «Wir hatten leider zweimal im schlechtesten Moment Defekt von Nils Politt und Jannik Steimle. Nils hat sich von der Nachführarbeit nicht mehr erholt. Er hat es lange probiert. Wenn du in dem Rennen abgehängt warst, musstet du permanent am Anschlag fahren, um wieder heranzukommen. Das geht mal zwei, drei Runden. John ist sehr hartnäckig gefahren, immer in sehr guter Position, bis drei Runden vor Schluss hat er sich sehr gut gewehrt und am Ende das beste Ergebnis herausgeholt. Mit dem Ergebnis müssen wir auf jeden Fall zufrieden sein. Es war das Maximale, was wir heute auf diesem Parcours herausholen konnten.»