Erfurt (dpa) - Für Jan Ullrich beginnt in Erfurt die Woche der Wahrheit. Die ersten 184 Kilometer nach fünfwöchiger Trainings-Klausur sollen den Olympiasieger bei «Rund um die Hainleite» unter Wettkampf-Bedingungen wieder Tritt fassen lassen.
Am Pfingstmontag geht es bei der stark besetzten Deutschland-Tour zwischen Karlsruhe und Leipzig über insgesamt 1254 Kilometer dann richtig zur Sache. Schon das Zeitfahren zum Auftakt über 23,7 km wird Aufschluss darüber geben, wo der T-Mobile-Kapitän knapp fünf Wochen vor Beginn der Tour de France wirklich steht.
Richtwerte nannte Teamsprecher und Ex-Profi Olaf Ludwig: «Wenn Jan beim Zeitfahren auf den Sieger zwei Minuten verlieren würde, wäre das im Hinblick auf die Tour de France ein schlechtes Zeichen.» Ullrich («Wunderdinge sind nach der langen Wettkampfpause nicht zu erwarten») blickt auf effektive Trainings-Wochen zurück, in denen er nach eigener Aussage Gewicht verlor und im Hinblick auf die Tour Boden gut machte: «Ich habe hart gearbeitet. Wir haben einige Tour-Passagen in Begleitung von Winokurow, Kessler, Evans und Steinhauser abgefahren. Die Zeitfahr-Strecke nach L'Alpe d'Huez sind wir zwei Mal hoch.»
Bei der 6. Deutschland-Tour nach der Wiederbelebung der Rundfahrt 1999 hat er es nicht nur im eigenen Team mit besonders ambitionierten Fahrern zu tun. Sein Team-Kollege Andreas Klöden (Merdingen), Jens Voigt (Berlin), Jörg Jaksche (Ansbach), Denis Menschow (Russland), Paolo Bettini (Italien) und der im Vorjahr beim Zeitfahren so schwer gestürzte Igor Gonzalez (Spanien) sind heiße Kandidaten auf den Gesamtsieg. Den peilt der «Sportler des Jahres» natürlich nicht an.
«Wettkampf und Training sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Er will gut fahren und ist im Moment besser drauf als vor drei Wochen. Rund eine Minute Verlust beim Zeitfahren auf den Sieger wäre eine positive Überraschung», sagte sein Betreuer Rudy Pevenage, der in der härtesten Trainings-Woche über 1000 Kilometer auf Ullrichs Computer zählte. Pevenage: «Armstrong ist zehn Mal hoch nach L'Alpe d'Huez. Wir weniger - aber das reicht.»
Die bei der Tour de France als große Widersacher Gehandelten, die Pfingstmontag in Karlsruhe nicht am Start sind, haben sich in dieser Saison schon gegen harte Konkurrenz durchgesetzt. Ullrich, der nach seinem etwas peinlichen Ausstieg beim Flèche Wallonne alle geplanten Rennen absagte, schuftete lieber weitgehend unbeachtet im Training. Ob ihm seine Einsiedler-Methode Erfolg bringt, wird sich am Pfingst-Wochenende andeuten. Die Tour de Suisse ab 12. Juni soll wie meist Ullrichs Generalprobe für den Saisonhöhepunkt im Juli sein.
Lance Armstrong, auf gutem Weg, in Frankreich mit seinem sechsten Sieg in Folge für einen denkwürdigen Rekord zu sorgen, kann mit seinem Aufbau zufrieden sein. Von seinen Herausforderern macht Iban Mayo einen starken Eindruck. Der Baske siegte in Asturien und Alcobendas. Der Tour-Vierte Tyler Hamilton (USA) gewann die Tour de Romandie und der Spanier Roberto Heras - beides ehemalige Armstrong- Helfer - glänzte im Baskenland. Nur Joseba Beloki (Spanien) hat wie Ullrich 2004 noch keine Erfolge aufzuweisen.
Im Vorjahr wurde der T-Mobile-Kapitän mit anderer Vorbereitung im Bianchi-Trikot nach der Fahrt über den Kyffhäuser in Erfurt 16., zeitgleich mit dem Sieger Enrico Poitschke (Gera). Bei der Deutschland-Tour, die im kommenden Jahr wegen der bevorstehenden Struktur-Änderung im Weltradsport vom 15. - 23. August stattfinden wird, war er in der Endabrechnung Fünfter. Das Zeitfahren hatte Ullrich hinter dem späteren Gesamtsieger Michael Rogers (Australien) als Zweiter beendet: Referenzen für 2004.