Lüttich (dpa) - Als Angestellter eines belgischen Radrennstalls ist auch der Einfluss eines dreimaligen Weltmeisters begrenzt.
Tony Martin hätte sich gerne am 1. Mai dem deutschen Publikum beim Rad-Klassiker «Rund um den Finanzplatz Eschborn-Frankfurt» präsentiert, einem der ganz wenigen verbliebenen Eliterennen in der Heimat. Sein Team verzichtete aber auf eine Meldung, stattdessen startet der 29-Jährige nun schweren Herzens ab Dienstag bei der Tour de Romandie in der Schweiz.
«Ich muss dem nachgehen, was dem Team wichtig ist. Das tut ein bisschen weh. Bei Heimrennen zu starten, ist etwas Besonderes. Wenn es die Möglichkeit gibt, würde ich in Zukunft gerne wieder in Frankfurt starten», sagte der früher in Eschborn lebende Martin der Nachrichtenagentur dpa. Für sein Team Omega Pharma-Quick Step sind aber WorldTour-Punkte in der Schweiz wichtiger als ein Prestigeauftritt ihres Weltmeisters in Frankfurt.
Es sind die negativen Begleiterscheinungen, die aus der großen Radkrise in Deutschland mit den zahlreichen Dopingskandalen einhergingen. Erstklassige deutsche Teams gibt es nicht mehr, deutsche Renntermine sind an einer Hand abzuzählen und die TV-Präsenz ist quasi nur noch bei Eurosport vorhanden. Dabei gehören die deutschen Fahrer längst wieder zur absoluten Weltspitze. «Es war ein grandioses Frühjahr für den deutschen Radsport. Mehr können wir eigentlich nicht tun, um in Richtung deutsche Teams, Deutschland-Tour oder mehr Fernsehübertragungen zu kämpfen», betont Martin.
Die Ergebnisse unterstreichen Martins Worte. John Degenkolb zeigte bei den Klassikern starke Leistungen und verpasste bei Paris-Roubaix nur haarscharf den ersten deutschen Sieg seit 118 Jahren. Dazu sorgte der viermalige Tour-Etappensieger Marcel Kittel wieder für eine Reihe von Sprintsiegen und auch Martin hatte jüngst erst bei der Baskenland-Rundfahrt zwei Etappen eingefahren. «Vor allem Kittel und Degenkolb werden noch erfolgreicher, weil sie an Erfahrung und Kondition gewinnen. Das ist die logische Schlussfolgerung», sagt Martin voraus.
Für den 29-Jährigen sind indes die Ziele in dieser Saison die altbekannten. Das Zeitfahren am vorletzten Tag der Frankreich-Rundfahrt steht auf dem Plan, dazu will Martin bei der WM Ende September mit dem viermaligen Zeitfahr-Champion Fabian Cancellara gleichziehen. Eine im vorigen Sommer angedachte «Umschulung» zum Klassement-Fahrer bei den großen Rundfahrten ist vom Tisch, sowohl aktuell wie auch für die nächsten Jahre, wie er betont.
Martin will sich auf das spezialisieren, was er am besten kann - mit dem Fernziel Olympiasieg im Zeitfahren 2016. Die Tour werde er fahren, «sicher aber nicht in der Kapitänsrolle», ergänzt Martin. «Welche Rolle mir zukommt, muss ich noch mit dem Team absprechen.» Aber so wie er am Sonntag bei der 100. Auflage von Lüttich-Bastogne-Lüttich, die der Australier Simon Gerrans gewann, Tempoarbeit für Michal Kwiatkowski aus Polen verrichtete, wird er dies im Sommer wohl für Supersprinter Mark Cavendish tun müssen.
Bis dahin will er aber noch wie zuletzt Ergebnisse einfahren. «Mit der Baskenland-Rundfahrt kam die Wende und das Selbstvertrauen zurück», sagt Martin nach einem zunächst eher durchwachsenen Frühjahr und Rolf Aldag, Technische Manager bei OPQS, ergänzte: «Wir sind sehr zufrieden. Er ist wieder auf dem besten Weg.» Dieser führt aber nicht nach Frankfurt, sondern in die Schweiz.