Privas (dpa) - Primoz Roglic stemmte an der Hotelbar stolz eine übergroße Flasche Prosecco in die Höhe, und in seiner Heimat gab es Lobeshymnen.
«Ein historischer Tag für den slowenischen Radsport», schrieb das Blatt «Delo» und fügte nach dem Doppelerfolg auf der ersten Bergankunft der 107. Tour de France hinzu: «Und das war nur die Vorspeise für Roglic und Pogacar.» Zwei slowenische Radprofis auf dem Gipfel der Tour - aus einem Land mit gerade einmal zwei Millionen Einwohnern, in dem die Kinder gewöhnlich Fußball und Basketball spielen oder in den Wintersport gehen. Eine wundersame Erfolgsgeschichte.
Die beiden gehören anscheinend zu einer goldenen Generation. Roglic, der frühere Skispringer, dieses Ausnahmetalent, das schon mit 20 Jahren einen VO2max-Wert - was die Sauerstoffaufnahmekapazität des Blutes angibt - von über 80 gehabt haben soll und damit in Bereichen von Chris Froome lag. Und dann der gerade einmal 21 Jahre junge Tadej Pogacar, der im Vorjahr bei der Vuelta der jüngste Fahrer war, der drei Etappen bei einer großen Rundfahrt gewann. Nicht zu vergessen die Landsleute Matej Mohoric und Jan Polanc, die bei der Tour ebenfalls in ihren Teams eine gewichtige Rolle spielen.
2013 war das Jahr, in dem Roglics Karriere Fahrt aufnahm. Der frühere Junioren-Mannschaftsweltmeister im Skispringen hatte 2012 genug vom Schnee, kaufte sich für 1300 Euro ein gebrauchtes Fahrrad und erhielt tatsächlich bei Adria Mobil eine Chance. Schnell stellten sich die Erfolge ein, so dass Jumbo-Visma auf ihn aufmerksam wurde. Ende 2015 wurde Roglic für das Mindestgehalt von knapp 40.000 Euro angestellt. Und noch vor dem ersten Rennen verblüffte der damals 26-jährige Roglic mit seinen Plänen. Innerhalb von fünf Jahren wolle er die Tour gewinnen.
«Wir haben ihm geantwortet: Beruhige Dich mal, wir sind hier in der WorldTour und Du hast noch kein Rennen gewonnen», erinnerte sich Sportdirektor Frans Maassen in der französischen Sporttageszeitung «L'Equipe». Seitdem folgte eine fulminante Entwicklung. 2016 gewann er eine Etappe beim Giro d'Italia, ein Jahr später dann bei der Tour de France. Und es dauerte nicht lange, dann war er ein kompletter Rundfahrer: Vierter bei der Tour 2018, Dritter beim Giro 2019 und schließlich Vuelta-Gesamtsieger im September vergangenen Jahres.
Inzwischen sind es schon 41 Profisiege. «Die Entwicklung ist verblüffend, aber auch erklärbar und nachvollziehbar», sagte Kollege Tony Martin im dpa-Interview. Verblüffend ist auch Pogacar, der einen anderen Weg ging. Schon mit neun Jahren kam er zum Radsport, war seiner Zeit schon immer voraus. 2018 gewann er die Tour de l'Avenir - eine Art Nachwuchs-Tour-de-France als Nachfolger von Egan Bernal.