Brüssel (dpa) - Lance Armstrong befürchtet «ein Blutbad», Linus Gerdemann das «totale Chaos»: Die 97. Tour de France wird zum Sicherheitsrisiko.
Zwei Tage nach dem Sturzfestival von Brüssel müssen Armstrong und Co. auf der 3. Etappe höllisch aufpassen, wenn sie nicht den gefürchteten Kopfsteinpflasterpassagen zum Opfer fallen wollen. «Für mich ist das eine überflüssige Gefährdung der Gesundheit der Radprofis», kritisierte der frühere Athleten-Sprecher Jens Voigt. Der Berliner erwartet von den «modernen Gladiatorenkämpfen» das Schlimmste: «Wir werden den einen oder anderen Fahrer mit gebrochenem Arm oder einem Schlüsselbeinbruch auf der Strecke liegenlassen.»
Wie fließend bei der Tour die Grenzen zwischen Spektakel und Horror-Show verlaufen, zeigte sich am 4. Juli. Allein auf den letzten 2200 Metern kam es in Brüssel zu drei Massenstürzen, verschrammt, genervt und mit zerrissenen Trikots rollten einige Fahrer ins Ziel. «Das ist kein Kindergarten, es ist ein Radrennen», kommentierte Columbia-Sportdirektor Rolf Aldag die hitzig geführten Positionskämpfe durch enge Kurven.
Sein Columbia-Profi Adam Hansen überstand die rasante Fahrt durch Holland und Belgien nicht: Der Australier zog sich bei einem Sturz Knochenbrüche zu und musste die Tour verlassen. Vor ihm hatten schon zwei Fahrer den Prolog in Rotterdam nicht heil hinter sich gebracht.
Es hätte nicht der Massenkarambolagen nahe des Atomiums bedurft, um den Tour-Organisatoren die Sicherheitsfrage zu stellen. Schon vor dem Prolog hatte ein Großteil des Pelotons die Streckenführung kritisiert. Vor allem der 3. Tagesabschnitt mit sieben Passagen über Kopfsteinpflaster von insgesamt 13,2 Kilometern Länge ist den Fahrern zuwider. «Das gibt Mord und Totschlag», prognostizierte Milram-Kapitän Linus Gerdemann und fügte vor dem «Glücksspiel» hinzu: «Das sind Etappen, die einen psychisch zermürben.»
Doch nicht alle blicken dem Showdown im Wald von Arenberg skeptisch entgegen. Zwar erwartet auch Rekordsieger Armstrong, der die heiklen Passagen vor der Tour extra abgefahren ist, «einen kritischen Tag». Zugleich setzt der Texaner aber darauf, dass er seinem großen Rivalen Alberto Contador auf den sogenannten Pavés einige Sekunden abnehmen kann. «Ich sage voraus, dass am Ende 20 oder 30 Fahrer an der Spitze übrigbleiben», so Armstrong.
Während viele Profis eine fatale Fokussierung aufs Spektakuläre monieren, hat Aldag keine größere Gesundheitsgefährdung ausgemacht. Selbst die Massenankünfte in den Metropolen vor Hunderttausenden Zuschauern, die den Fahrern teilweise körperlich nahe kommen, bereiten dem 41-Jährige keine Sorgen. «Du kannst ja nicht nur außerhalb der Stadt auf der Autobahn sprinten», meinte Aldag.
Es lässt sich aber kaum bestreiten, dass der Profi-Radsport mehr denn je eine Gratwanderung ist. Schon beim Giro d'Italia und bei der Vuelta hatten die Veranstalter derart schwierige Bergankünfte ins Programm genommen, dass die Starter an ihre absoluten Grenzen gehen mussten. Und das in Zeiten, in denen Zweifel an außerordentlichen Leistungen von einem Doping-Generalverdacht begleitet werden.