Méribel (dpa) - Primoz Roglic nickte dem begeisterten Staatschef Emmanuel Macron ein wenig unsicher zu. So viel Prominenz hatte der Slowene bei seinem Triumphzug auf dem großen Podium der Tour de France noch nicht zu Gesicht bekommen.
Händeschütteln oder Smalltalk waren aber nicht drin, das ließ das strenge Corona-Protokoll nicht zu. Roglic konnte es verschmerzen, hatte er doch zuvor in 2304 Metern Höhe die größte Hürde auf dem Weg zum ersten slowenischen Tour-Triumph mit dem zweiten Platz auf der brutalen Königsetappe gemeistert.
«Ich bin richtig zufrieden. Ich habe zwar nicht gewonnen, aber Sekunden herausgeholt. Alles läuft gut», sagte Roglic, der bei dem unmenschlich anmutenden Kletterspektakel auf dem Dach der Tour nur dem kolumbianischen Tagessieger Miguel Angel Lopez nicht folgen konnte. Ein Schönheitsfehler, mehr nicht. Roglic ging auf den brutalen Rampen sogar wie ein Sprinter aus dem Sattel, um keine Zeit zu verlieren.
Es funktionierte. Der Ex-Skispringer knöpfte nach 170 Kilometern bei der Bergankunft auf dem Col de la Loze seinem drittplatzierten Rivalen Tadej Pogacar wichtige 15 Sekunden ab. Damit leuchtete das Gelbe Trikot von Roglic inmitten der Alpenriesen noch etwas gelber, 57 Sekunden liegt der Vuelta-Champion nun vor seinem neun Jahre jüngeren Landsmann Pogacar. «Wenn man eine Minute Vorsprung hat, will man fünf. Man ist nie zufrieden. Aber das ist eine gute Ausgangsposition», sagte Roglic.
Tour-Debütant Pogacar musste sich mit dem Bergtrikot als Trostpreis begnügen, will aber noch nicht aufgeben. «Ich bin immer noch unter einer Minute. Mal schauen, ob ich noch etwas bewegen kann», sagte er. Doch die Vorentscheidung um den Gesamtsieg scheint fast gefallen, die letzten Prüfungen auf dem Weg nach Paris sind überschaubar. Das Bergzeitfahren am vorletzten Tag dürfte eine klare Angelegenheit für Superstar Roglic sein. Neuer Gesamtdritter ist Lopez 1:26 Minuten zurück.
Beim deutschen Youngster Lennard Kämna war einen Tag nach seinem beeindruckenden Etappensieg in Villard-de-Lans die Luft raus. Der 24-Jährige gehörte zunächst einer Ausreißergruppe an, doch bereits am vorletzten Berg musste der Norddeutsche abreißen lassen. «Die Tour geht auch an Lennard nicht spurlos vorbei. Es schaut so aus, dass die Kraft dem Ende zugeht», sagte Teamchef Ralph Denk der ARD. Am Ende waren es fast 22 Minuten Rückstand.
Gar nicht mehr am Start war der von Rückenschmerzen geplagte Titelverteidiger Egan Bernal. Der Kolumbianer stieg noch vor der Etappe aus und machte damit das Debakel seines Super-Rennstalls Ineos Grenadiers perfekt. «Natürlich wollte ich nicht, dass meine Tour de France so endet, aber ich stimme zu, dass es unter den gegebenen Umständen die richtige Entscheidung für mich ist», sagte Bernal, der am Vortag fast eine halbe Stunde auf Kämna verloren hatte.
Die Kletterpartie auf dem 21,5 Kilometer lange Anstieg mit durchschnittlich 7,8 Prozent Steigung entwickelte sich regelrecht zu einem Ausscheidungsfahren. Es ging es richtig zur Sache. Die slowenischen Stars schüttelten die Mitkonkurrenten wie lästige Fliegen ab. Rigoberto Uran, Mikel Landa, Richie Porte - nichts ging mehr bei Steigungen von bis zu 24 Prozent. 2,9 Kilometer vor dem Ziel war in Giro-Sieger Richard Carapaz auch der letzte Ausreißer gestellt.
Der Tag begann, wie der vorige endete - mit Kämna an der Spitze. Als Mitglied in einer Ausreißergruppe, der auch wieder Carapaz und Frankreichs Star Julian Alaphilippe angehörten, wollte das Riesentalent nun das Gepunktete Trikot in Angriff nehmen. Gut geschlafen habe er, auch wenn er ein wenig aufgedreht gewesen sei. Kein Wunder, hatte er bei seinem Etappensieg am Dienstag doch ein Gefühlschaos erlebt. Am Ende standen Champagner und Smoothies auf dem Speiseplan bei der kleinen Teamfeier in Grenoble. «Die Erleichterung war beim Team größer als bei mir. Ich habe mich nicht riesig unter Druck gefühlt», sagte Kämna am Mittwoch.
Wo soll das mal hinführen? «Er ist ein Ausnahmetalent. Er steigert sich zum Ende einer Rundfahrt. Das macht Mut für die Zukunft, dass er auf das Podium fahren kann, wenn alles passt», sagte Didi Thurau der Deutschen Presse-Agentur. Der Frankfurter war 1977 sogar 15 Tage lang im Gelben Trikot gefahren und gewann insgesamt sechs Tour-Etappen.
Die letzte Alpen-Etappe über 175 Kilometer von Méribel nach La Roche-sur-Foron ist am Donnerstag nicht mehr gar so schwer, hat aber trotzdem ihre Tücken. Am Ende des letzten Anstiegs zum Plateau des Glières wartet noch eine fast zwei Kilometer lange Schotterpiste. Ein Defekt kann hier gravierende Folgen haben und wäre auf den letzten 31 Kilometern mit der rasenden Abfahrt zum Ziel kaum mehr aufzuholen.