Löwen (dpa) - Abgekämpft suchte Kapitän Nils Politt nach Erklärungen für die nächste WM-Enttäuschung, für Routinier John Degenkolb endete der Traum von einer Medaille nach einem heftigen Sturz in der Krankenstation.
Die deutschen Radprofis sind bei der nächsten WM-Show von Titelverteidiger Julian Alaphilippe in Flandern leer ausgegangen und müssen seit einem Jahrzehnt auf eine Medaille im Straßenrennen warten. «Ich weiß nicht, was an den Pflaster-Anstiegen los war. Ich hatte total Schwierigkeiten und habe nicht Druck auf die Kette bekommen», haderte Politt, der als bester Deutscher 16. wurde.
Als Alaphilippe stolz der französischen Hymne lauschte, war der Sonntag nach 267,7 knallharten Kilometern für das deutsche Team schon längst ohne den erhofften Coup gelaufen. Und Routinier Degenkolb konnte gar froh sein, seinen Sturz ohne heftigere Verletzungen überstanden zu haben. «Es war ein sehr unangenehmer Sturz, ich bin auch auf den Kopf gefallen und mein Helm ist gebrochen. Mir war anfangs auch schwindelig, das muss ich die nächsten Tage noch beobachten. Ich bin mega enttäuscht, dass mein WM-Rennen so zu Ende gegangen ist», sagte Degenkolb.
Alaphilippe verdirbt belgische Party
So spielten die deutschen Fahrer inmitten des belgischen Radsport-Wahnsinns - mal wieder - nur eine Nebenrolle. Anders dagegen Superstar Alaphilippe, der sich vor unfassbarer Kulisse erneut zum Weltmeister krönte und damit zum Stimmungskiller für die belgische WM-Party wurde. Es flogen sogar vereinzelt Becher, als der Franzose nach 267,7 Kilometern von Antwerpen nach Löwen jubelnd über den Zielstrich fuhr.
Politt machte seiner Kapitänsrolle für den Bund Deutscher Radfahrer (BDR) am Sonntag zwar alle Ehre, war in den entscheidenden Szenen aber nicht mehr vorne präsent. «Allgemein kann ich ein positives Fazit ziehen. Ich war in den Top 20», ergänzte Politt nach dem Ritt auf dem hügeligen Klassikerkurs mit zahlreichen giftigen Anstiegen und schwärmte von der Stimmung: «Vor so einer Kulisse zu fahren, ist was Besonderes.»
Deutschland muss damit seit Rudi Altig 1966 auf einen Weltmeister und immerhin schon seit André Greipel 2011 auf eine Medaille im WM-Straßenrennen warten. Alaphilippe holte sich stattdessen wie 2020 in Imola mit einer seiner beherzten Attacken erneut im Alleingang das Regenbogentrikot. 32 Sekunden hinter Alaphilippe sicherten sich in Flandern, wo am Sonntag hunderttausende Menschen an die Strecke pilgerten, der Niederländer Dylan van Baarle und der Däne Michael Valgren die weiteren Medaillen. Die favorisierten Gastgeber gingen indes leer aus.
Titel erfolgreich verteidigt
«Ich bin glücklich, ich werde es genießen. Das sind riesige Emotionen für mich, den Titel zu verteidigen. Ich war gut vorbereitet, hatte aber auch schwere Momente. Der Kurs kam mir entgegen. Ich wollte die Gruppe verkleinern, das hat geklappt», sagte Alaphilippe, dem es wie zuletzt dem Slowaken Peter Sagan (2015 bis 2017) gelang, den Titel erfolgreich zu verteidigen.
Politt präsentierte sich zunächst offensiv und zeigte sich - mit entschlossenem Blick und weit aufgerissenem Mund - immer wieder an der Spitze des Pelotons. Der Bora-hansgrohe-Profi war es auch, der das Feld rund 100 Kilometer vor dem Ziel mit einer couragierten Attacke teilte. Doch so richtig lief es nicht in der Fluchtgruppe und beim Kölner.
John Degenkolb hatte es zum Zeitpunkt von Politts Attacke schon schwer erwischt. Der Routinier kam bei einem Sturz mit hoher Geschwindigkeit zu Fall. Dabei trug er Hautabschürfungen und Prellungen davon. Doch Politt fehlte im Feld ein wichtiger und routinierter Helfer. Der deutsche Meister Maximilian Schachmann und Sprinter Pascal Ackermann spielten keine Rolle.
Deutsche Bilanz trotzdem positiv
Ihnen entging damit auch das große Spektakel auf Belgiens Straßen, auf denen der WM-Sonntag wirkte wie ein Nationalfeiertag. Eine derart fantastische Atmosphäre hatte man seit Anbeginn der Corona-Pandemie nicht mehr gesehen. Schon in den Tagen zuvor hatte sich der Wahnsinn von Tag zu Tag mehr gesteigert: Von tausenden Eddy-Merckx-Mützen über volle Bars und Kneipen mit Partylustigen bis hin zu Kindern, die lautstark und kreischend um Trinkflaschen von unbekannten Rad-Junioren betteln.
Die deutsche Bilanz fällt trotz des verpassten Abschlusscoups positiv aus. Tony Martin führte das Zeitfahr-Mixed in seinem letzten Rennen als Profi zu Gold, dazu gelangen Antonia Niedermaier und Linda Riedmann Bronzemedaillen bei den Juniorinnen. Im Vorjahr in Imola hatte es bei den coronabedingt stark reduzierten Wettkämpfen gar keine Medaille gegeben.
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