Sheffield (dpa) - Sein Lächeln konnte Marcel Kittel keiner mehr nehmen. Den Verlust seines Gelben Trikots an Vincenzo Nibali quittierte der am Sonntag mit 19:50 Minuten Verspätung durchs Ziel fahrende Vortagessieger mit breitem Grinsen im Gesicht.
«Ich habe versucht, jede Sekunde zu genießen. Es war fantastisch heute - trotz der 3000 Höhenmeter. Das Gefühl ist einfach super, von so vielen angefeuert zu werden», sagte Kittel, der den Tour-Auftakt am Vortag in Harrogate im Massensprint in unnachahmlich Manier gewonnen hatte.
Neben den ersten Tourhelden Kittel und Nibali war Ex-Weltmeister Mark Cavendish beim spektakulären Auswärtsspiel der 101. Tour de France in England vor einem Millionenpublikum die tragische Figur. Der Brite aus dem Tony-Martin-Team musste das Rennen mit einer Schultereckgelenk-Sprengung am Sonntag aufgeben. Er war das größte Opfer eines von ihm selbst auf der Zielgeraden in Harrogate verursachten Sturzes. Sechs Wochen wird er mindestens ausfallen.
Nibali, der seine erste Tour-Etappe gewann, hatte sich als Solist zwei Sekunden vor dem Belgier Greg van Avermaet nach einer erfolgreichen Attacke auf den letzten 1900 Meter durchgesetzt. Damit sammelte er im Kampf um den Gesamtsieg die ersten zwei Sekunden Vorsprung auf die Topfavoriten Christopher Froome und Alberto Contador, die auf der schweren Etappe am Sonntag schon fast ans Limit gehen mussten.
Der Auftaktsieg und die denkwürdigen Momente auf dem Podium waren Kittel nicht mehr zu nehmen, schließlich hatte Herzogin Kate am Samstag als erste Gratulantin gewartet. Derart königlich das Maillot Jaune übergestreift zu bekommen, war auch für den Seriensieger eine ganz neue Erfahrung. «Mit Kate auf dem Podium zu stehen war das gewisse Extra», berichtete Kittel vom Treffen mit der Herzogin und den Prinzen William und Harry. Der Smalltalk bleibt «streng geheim», aber eines verriet Kittel dann doch: «Das sind ganz angenehme Leute, superlocker. Ich bin froh, dass ich das erleben durfte.»
«Ich wusste ja, wie es sich anfühlt. Das Gelbe Trikot aber das zweite Mal zu bekommen, ist noch schöner als beim ersten Mal», ergänzte Kittel, der im Vorjahr vier Etappen gewonnen hatte und zum neuen Sprintkönig der Tour aufgestiegen war.
Grundsätzlich war die prächtige Stimmung auf der Insel durch den Cavendish-Ausfall aber nicht gestört. Am Samstag waren nach Angaben der Polizei zwei Millionen Menschen auf den Beinen. «Außergewöhnlich, phänomenal, unvergesslich», schwärmte Tourchef Christian Prudhomme. «Das war wie in L'Alpe d'Huez.» Die Zuschauer, die in den 20er Reihen keinen Platz mehr gefunden hatten, versammelten sich bei prächtigem Wetter vor den riesigen Leinwänden in den großen Parks. «Wie Woodstock, nur ohne Matsch», schrieb das Tour-Organ «L'Equipe».
Dabei konnten die Fans live miterleben, wie Rekord-Teilnehmer Jens Voigt seine 17. und letzte Tour auf besondere Weise zelebrierte. Mit einer seiner berühmten Attacken sicherte sich der 42-Jährige am ersten Tag die nötigen vier Punkte für das erste Bergtrikot. «Ich fühlte schon eine Verpflichtung, mich hier zu präsentieren, wo doch meine Teilnahme lange offen war», sagte der Oldtimer, der 1998 bei seiner ersten Teilnahme ebenfalls mit einer «verrückten Attacke» das gepunktete Trikot geholt hatte. Am Sonntag musste er das Bergtrikot allerdings wieder hergeben.
Zum abschließenden Höhepunkt der englischen Festspiele kommt es am Montag, wenn die dritte Etappe vor dem Buckingham Palace in London endet. Womöglich im Sprint - gute Erfahrungen mit den Royals hat Kittel ja schon gemacht. Er versprach für London wieder ein Sprint-Spektakel: «Wir werden morgen am Start stehen mit dem Ziel, die Etappe zu gewinnen. Aber die anderen werden uns nichts schenken», sagte er. «Morgen greifen wir wieder an», versprach Kittels Teamkollege John Degenkolb.
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