Friedrichshafen (rad-net) - Liane Lippert ist in der Saison 2020 endgültig der internationale Durchbruch gelungen. Neben ihrem Sieg beim Cadel Evans Great Ocean Road Race und dem fünften Platz bei der Straßen-Weltmeisterschaft, gewann sie die Nachwuchswertung der UCI Women's WorldTour.
Die Saison der 22-Jährigen startete Mitte Januar bei der Tour Down Under (UCI 2.Pro). «Ich hatte im Vorfeld keine großen Erwartungen. Wir sind mit drei Fahrerinnen in der Leaderrolle angereist: Juliette Labous, Leah Kirchmann und ich. Wir wollten sehen, wer am weitesten kommt und für wen wir dann fahren», so Lippert gegenüber rad-net. Und letztendlich war es sie, die beim Team Sunweb besonders überzeugen konnte. Sie war die einzige aus ihrer Mannschaft, die auf der zweiten Etappe das harte Finale ganz vorne mitfahren konnte und mit einer vierköpfigen Spitzengruppe ins Ziel kam. Hinter Amanda Spratt (Mitchelton-Scott) und Ruth Winder (Trek-Segafredo) spurtete Lippert auf den dritten Platz und verbesserte sich zunächst auf den dritten Gesamtrang. Mit dem zweiten Platz am darauffolgenden Tag - dieses Mal im Sprint eines sehr dezimierten Feldes - kletterte sie auf den zweiten Platz im Gesamtklassement hinter Winder und verteidigte diesen bis zum Schluss. Das brachte ihr zudem den Sieg in der Nachwuchs- als auch Bergwertung ein. «Ich habe nicht erwartet, dass ich die Rundfahrt auf dem zweiten Platz und nur sehr knapp hinter der Siegerin beenden würde. Damit war ich auf jeden Fall schon sehr glücklich», sagt Lippert.
Zwei Wochen später stand in Australien, genauer in Geelong, der Auftakt der UCI Women's WorldTour im Kalender. «Die Tour Down Under mit dem Sieg beim Cadel Evans Great Ocean Road Race toppen zu können, damit habe ich wirklich nicht gerechnet. Ich wusste nach der Tour Down Under, dass ich eine super Form habe und wir wollten den Sieg auch unbedingt haben, aber davor habe ich noch nicht so sehr an mich geglaubt. Das Team hat mich aber super unterstützt und wir waren sehr glücklich, dass es dann doch noch mit dem Sieg geklappt hat.» Die junge Deutsche gewann als Solistin mit 15 Sekunden Vorsprung auf eine dreiköpfige Verfolgergruppe mit Arlenis Sierra (Astana), Amanda Spratt und Tayler Wiles (Trek-Segafredo).
Als Siegerin des ersten WorldTour-Rennens 2020 schlüpfte Liane Lippert auch ins Führungstrikot der Rennserie und war mit ihren erst 22 Jahren zugleich auch Führende in der Nachwuchswertung.
Dann wurde allerdings die Saison durch die Corona-Pandemie unterbrochen. Lipperts nächstes Rennen - Strade Bianche - fand erst am 1. August, exakt sechs Monate nach ihrem Triumph in Geelong, statt. Dort verteidigte sie mit dem 16. Rang die Führung, genauso wie mit dem zwölften Platz beim GP de Plouay, den Elizabeth Deignan (Trek-Segafredo) gewann. Die Britin kam Lippert damit allerdings immer näher und nachdem sie auch bei La Course siegreich war, musste die Friedrichshafenerin trotz ihres starken zehnten Platzes das Trikot an Deignan abgeben.
Doch Lippert war keineswegs traurig darüber, das Leadertrikot abgeben zu müssen, viel mehr überwog der Stolz, dass sie es so lange tragen durfte. «Ich glaube ich war die längste Führende in der Geschichte des Trikots. Natürlich begünstigt durch die Corona-Pause, aber es ist trotzdem etwas Besonderes, es so oft getragen zu haben», so Lippert, die weiter erklärt: «Ich habe es eher so gesehen: Ich bin glücklich über jedes Rennen, in dem ich das Leadertrikot getragen habe und habe mir nicht so viele Gedanken über das Ranking gemacht. Ich habe mir mehr Gedanken über die einzelnen Rennen gemacht und wollte in jedem Rennen alles geben und so gut wie möglich fahren. Wenn ich dort dann Punkte gesammelt habe, war das umso besser. [...] Als ich dann ins Blaue Trikot [der besten Nachwuchsfahrerin, Anm. d. Red.] gewechselt bin, war das für mich auf jeden Fall keine Enttäuschung. Ich habe mich sehr gefreut, auch in diesem Trikot zu fahren und bin umso glücklicher, dass ich es mit nach Hause gebracht und gewonnen habe.»
Die Grundlage dafür legte Lippert mit vielen weiteren starken WorldTour-Platzierungen: Sie wurde Gesamt-13. beim Giro Rosa, Achte beim Flèche Wallonne und Zehnte bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. Bei dem 1.1-Eintagesrennen Brabantse Pijl belegte Lippert danach auch noch einen starken zweiten Platz. Nach Gent-Wevelgem (62.) und der Flandern-Rundfahrt (51.) war die Madrid Challenge, die im Rahmen der Vuelta a España der Männer ausgetragen wurde, das letzte Rennen der von der Corona-Pandemie bestimmten WorldTour-Saison.
Erst dort konnte sich Liane Lippert mit dem 18. Platz im Gesamtklassement endgültig das Nachwuchstrikot sichern - und das obwohl sie dort «nur» als Helferin am Start war. Vor dem Rennen sei man sich beim Team Sunweb noch nicht ganz sicher gewesen, ob man bei der Madrid Challenge für Liane Lippert oder Lorena Wiebes fahren würde. Nach der Besichtigung der Strecke der Auftaktetappe, die mit einer 400-Meter-Bergankunft endete, sei die Entscheidung für Wiebes gefallen - mit Erfolg, denn die Niederländerin gewann den Auftakt. «Da sie mit einem großen Vorsprung gewinnen konnte, haben wir auf jeden Fall die richtige Entscheidung getroffen, worüber wir alle sehr glücklich waren», so Lippert. Nach dem Zeitfahren, sollte am dritten Tag ein weiterer Etappensieg her. «In der letzten Etappe sind wir alle zu 100 Prozent für Lorena gefahren. [...] Auch wenn es am Ende leider nur zu Rang zwei gereicht hat, können wir sehr zufrieden sein», bilanzierte die Deutsche Meisterin von 2018, zumal Wiebes auch noch Gesamtdritte werden konnte. «Danach habe ich die Siegerehrung und den Gewinn des Trikots genossen.»
Lippert unterstrich im Gepräch mit rad-net auch noch einmal, wie wichtig ihr der Gewinn der Nachwuchswertung ist: «Es ist mein letztes U23-Jahr gewesen und ich hatte das Trikot noch nie zuvor, es war allerdings auch vorher noch nicht so wirklich das Ziel. Davor war ich auch noch nicht so in der Leaderrolle, wie ich es in dieser Saison war, umso glücklicher bin ich, es in meinem letzten Jahr gewonnen zu haben. Es ist auf jeden Fall eine schöne Erinnerung, es wirklich bei jedem Rennen zu tragen, genauso wie beim Lilanen Trikot zuvor auch. Es ist eine große Ehre das Trikot der besten U23-Fahrerin zu tragen.»
Dabei ist Liane Lippert auch als Rennfahrerin weiter gewachsen und kann eine Menge Selbstbewusstsein mit ins Jahr 2021 nehmen. «Ich hätte am Anfang der Saison, vor Australien, nicht erwartet, dass ich schon so bereit bin, in die Leaderrolle zu schlüpfen und bei fast jedem Rennen als Leader an den Start zu gehen. Aber ich war in einer super Form und es war eine gute Entscheidung, die wir als Team getroffen haben», so Lippert. Sie wird auch im kommenden Jahr für das deutsche WorldTour-Team fahren, nachdem sie im vergangenen Jahr ihren Vertrag vorzeitig bis Ende 2022 ausgeweitet hatte.