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29.07.2003 21:14
Jens Fiedler im Interview - „Du hast nur eine Chance“

Jens Fiedler gehört seit mehr als einem Jahrzehnt zu den international erfolgreichsten Sprintern. 1991 gewann der Chemnitzer in Stuttgart seinen ersten WM-Titel. Es folgten drei weitere 1995 (Olympischer Sprint), 1998 und 1999 (jeweils Keirin). 1992 und 1996 wurde Fiedler Olympiasieger im Sprint. Im kommenden Jahr möchte er in Athen seine Karriere mit einem olympischen Erfolg im Keirin krönen, der einzige Titel, der dem großen deutschen Sprinter fehlt. In Stuttgart will er beweisen, dass er zwölf Jahre nach seinem ersten Triumph nichts von seiner Explosivität verloren hat.

1988 gewannen Sie Ihren ersten WM Titel bei den Junioren. Seit dem sind Sie 15 Jahre erfolgreich im Spitzensport. Wie motiviert man sich immer wieder neu, wenn man alles gewonnen hat?

Jens Fiedler: „Also alles habe ich noch nicht gewonnen, mir fehlt noch ein Olympiasieg im Keirin. Mir fällt es leicht, mich zu motivieren, weil ich noch immer sehr viel Spaß am Bahnradsport finde. Auch aus meiner Familie schöpfe ich viel Kraft und Motivation.“ 1991 gewannen Sie in Stuttgart Ihren ersten WM-Titel bei den Männern.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Stuttgart ‘91?

Fiedler: „Sehr gute, denn in Stuttgart habe ich meinen bisher einzigen Sprintertitel bei den Männern gewonnen. Damals war ich nicht der große Favorit, konnte unbekümmert starten.Wenn ich jetzt wieder nach Stuttgart komme, liegt die Verantwortung ebenfalls nicht allein auf meinen Schultern. René Wolff ist mit seinen drei deutschen Meistertiteln der größere Favorit.“

René Wolff hat sie bei den Deutschen Meisterschaften geschlagen. Ist er Ihr Nachfolger, so wie Sie damals Michael Hübner gefolgt sind?

Fiedler: „Nein, wir sind zu unterschiedlich. Außerdem hatte ich schon in jüngeren Jahren deutlich mehr Erfolge als er. Aber es ist schön, dass endlich einer da ist, der mir die Favoritenrolle abnimmt. Auch die Situation mit Hübner war damals eine andere. Wir fuhren in einem Team.Wolff und ich fahren in verschiedenen Mannschaften. Schon das macht die Situation anders.“

Welcher Ihrer vielen WM-Titel war der schönste?

Fiedler: „Das war 1999 mein erster Titel im Keirin. Es herrschte eine tolle Atmosphäre, es war der letzte Tag der Titelkämpfe, es war zu Hause in Deutschland vor einem tollen Publikum. Es hat alles gepasst. Aber wenn ich auch die Olympiasiege dazu zähle, dann war sicherlich Atlanta 1996 mein schönster Erfolg, danach kommt Berlin und dann der Olympiasieg 1992 in Barcelona.“

Wie groß ist der Vorteil, vor heimischem Publikum zu starten, so wie jetzt in Stuttgart?

Fiedler: „Es bedeutet einen zusätzlichen Motivationsschub. Das Medieninteresse wird viel größer sein als in China, und ich glaube, dass Deutschland insgesamt erfolgreicher abschneiden wird als im vergangenen Jahr. Wir werden ganz sicher mehr Medaillen holen.“

Wie bereiten Sie sich mental auf den Wettkampf vor? Kaum jemand wirkt vor dem Start so hochkonzentriert wie Sie. Man hat den Eindruck, dass Sie mental völlig woanders sind.

Fiedler: „Diese Art der Konzentration habe ich mir über viele Jahre angelernt. Nach einigen psychologischen Beratungen habe ich meinen eigenen Stil gefunden. Es gibt eine bestimmte Abfolge von Dingen, das wiederholt sich.“

Beschreiben Sie einmal die letzten fünf Minuten vor dem Start. Nehmen Sie da Ihre Umwelt noch wahr?

Fiedler: „In dieser kurzen Phase vor dem Start tue ich nur das, was ich wirklich will, und das kann sehr unterschiedlich sein. Einmal sitze ich mit Kopfhörern in der Ecke und schotte mich völlig ab, ein anderes Mal nehme ich sie ab und registriere alles, was um mich herum passiert.“

In Ihrer 15-jährigen Karriere gab es viele packende Sprinter-Duelle. An welche erinnern Sie sich besonders gern?

Fiedler: „1991 in Stuttgart lieferte ich mir mit Bill Huck spannende Kämpfe, das habe ich noch in guter Erinnerung, oder die Finals bei den Olympischen Spielen in Barcelona und Atlanta mit Gary Neiwand und Martin Nothstein. Besonders gern habe ich mich mit Florian Rousseau duelliert. Das ging über mehrere Jahre.“

Auf der Piste sind sie erbitterte Gegner. Wie ist das Verhältnis zu Ihren Gegnern nach dem Wettkampf?

Fiedler: „Mit Nothstein und Neiwand eher distanziert, aber mit einigen anderen habe ich mich gut verstanden, so wie mit Rousseau. Wir wurden echte Freunde. Er war auch auf meiner Hochzeit.“

Was macht den besonderen Charakter eines Sprinters aus?

Fiedler: „Sprinter müssen gute Schauspieler sein, um eigene Schwächen zu verbergen. Wir sind absolute Einzelkämpfer und irgendwie verrückt, sonst würden wir solche Dinge nicht tun. Du musst dich in Bruchteilen von Sekunden entscheiden, was du machst, denn du hast nur eine Chance.“

Machen Sie sich manchmal Gedanken über Ihr Karriereende?

Fiedler: „Natürlich, denn meine Zeit läuft auch mal ab. Athen wird noch einmal ein großer Höhepunkt meiner Laufbahn.Wenn ich aufhöre – der Zeitpunkt steht noch nicht fest – werde ich in jedem Fall dem Radsport verbunden bleiben. Unsere XXL GmbH bietet viele Möglichkeiten auf dem Veranstaltungssektor. Ich könnte mir vorstellen, Sprinter Grand Prix’ zu veranstalten, Fahrradreisen zu organisieren. Es gibt ein breites Spektrum, auf dem ich tätig sein werden kann.“

Mit welchen Zielen gehen Sie nach Stuttgart?

Fiedler: „Im Sprint ohne Zielsetzung, da können viele auf Medaillenkurs fahren, auch Fahrer, die man jetzt vielleicht noch nicht auf der Rechnung hat. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Leistungsdichte viel enger geworden ist. Im Keirin will ich es unbedingt wissen. Da lautet die Frage: Jobie Dajka oder ich? Insgesamt glaube ich, dass in Stuttgart schnellere Zeiten gefahren werden als 1991, das hat schon die Deutsche Meisterschaft gezeigt. Und ich hoffe auf viele Zuschauer, dann erleben wir in Stuttgart schöne Festspiele.“

Weitere Infos zur Bahn-WM in Stuttgart...


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