Lorient (dpa) - Sie gelten unter den Radprofis als besonders harte Jungs und haben mitunter auch Pöbeleien und Kopfstöße im Repertoire. Dennoch sorgten ausgerechnet die Sprinter schon häufig für die ganz emotionalen und besinnlichen Momente im Radsport.
Tyler Farrar war beim Tour-Etappensieg in Redon auf der Ziellinie in Gedanken bei seinem besten Freund Wouter Weylandt, der während des Giro d'Italia tödlich verunglückt war. Mark Cavendish, der unumstrittene Rüpel-König im Peloton, heulte vor einem Jahr Rotz und Wasser, als er nach etlichen Enttäuschungen und Kritik den Sprint in Montargis gewann.
Unvergesslich sind die Bilder, als Garmin-Sprinter Farrar Arm in Arm mit Weylandts Leopard-Teamkollegen am Tag nach dem schrecklichen Unfall über die Ziellinie fuhr. Ebenso wie die Mannschaft stieg er im Mai aus dem Giro aus, um Weylandts schwangerer Frau beizustehen. Dass er den Sieg seinem verstorbenen belgischen Freund widmete, als er mit den Händen ein «W» formte, rührte viele. «WW wäre stolz auf dich gewesen», twitterte Leopard-Fahrer Fabian Cancellara.
Der Job der schnellen Männer ist oft undankbar: Mehrere Stunden im Feld mitradeln und auf den letzten Metern quasi explodieren. Und wenn es dann nicht klappt, ist man der Verlierer. Die Erfahrung machte 2010 Cavendish, der auf den ersten Etappen leer ausging und schon mit Kritik und Häme überschüttet wurde. Nach seinem Sieg brachen dann alle Dämme, auf dem Siegerpodest flossen beim «Bad Boy» die Tränen.
«Die Leute haben so viele schlechte Sachen über mich gesagt und hatten vielleicht manchmal auch Recht. Das ist heute ein ganz großer Moment für mich», schluchzte der Sprinter von der Isle of Man, der sich mit Provokationen und Geringschätzung in Richtung Konkurrenz nicht zurückhält. Davon kann der Rostocker André Greipel ein Lied singen, der vom ehemaligen Teamkollegen schon oft beleidigt wurde.
Für Cavendish, der mit dem Selbstvertrauen von 15 Etappensiegen durch Frankreich tourt, könnten die Pöbeleien das Ventil für den angestauten Erfolgsdruck sein. Cavendishs Betreuer Erik Zabel griff unter ähnlichen Gegebenheiten zu Doping, wie der frühere Sprinter vom Team Telekom in einer öffentlichen TV-Beichte unter Tränen gestand.
Als der letztjährige Sieger des Grünen Trikots Alessandro Petacchi 2003 mit einem Erfolg über Idol Mario Cipollini die erste Giro-Etappe seiner Karriere gewann, ließ auch er seinen Gefühlen freien Lauf. In Tränen aufgelöst, stammelte er: «Mir fehlen die Worte. Cipollini hier beim Giro zu schlagen, ist die größte Emotion meiner Karriere.»
In Frankreich gibt der 37-jährige Petacchi in diesem Sommer wieder den coolen Routinier. Daneben ist das Feld der Sprinter ein bunter Haufen völlig unterschiedlicher Charaktere: Rüpel Cavendish, der seine Kritiker zuletzt als «Idioten» beschrieb; Gentleman Thor Hushovd, der trotz WM-Titel und Gelbem Trikot die Drecksarbeit für seinen Teamkollegen Farrar verrichtete; Neuling Greipel, der täglich auf seiner Homepage Postkarten vom «Frankreich-Urlaub» schreibt.
Und Etappensieger Farrar, der sich des Drucks auf seine ganz eigene Art entledigt. Als Teenager lebte der Amerikaner in Nepal, wo er sich eine für sein Metier untypische Philosophie aneignete. «Es gibt Sprinter, die gewinnen mit einer enormen Wut im Bauch. In dem Moment hassen sie jeden. Ich gewinne, wenn ich glücklich bin.»