Grosseto (rad-net) - Heute startet die 31. Auflage des Giro d'Italia Internazionale Femminile, besser bekannt unter dem Titel Giro Rosa. Die einzige Grand Tour für Frauen geht in diesem Jahr über neun Etappen und insgesamt 971,8 Kilometer. Über diese Distanz erwartet die Frauen eine herausfordernde Strecke mit vier Bergankünften und einigen Höhenmetern.
Ursprünglich war die Rundfahrt vom 26. Juni bis 5. Juli geplant, musste aber auch aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden. Aufgrund dessen wurde auch die Anzahl der Etappen von zehn auf neun reduziert. Eigentlich war das der Plan, damit die Athletinnen rechtzeitig zur Straßen-Weltmeisterschaft in die Schweiz gelangen konnten, die allerdings nun nach Italien verlegt wurde und erst am 24. September beginnt. Anders als sonst, wird die diesjährige Ausgabe im zentralen und südlichen Teil Italiens ausgetragen und führt durch die Regionen der Toskana, Umbrien, Latium, Kampanien und Apulien.
Die Strecke
Der Standortwechsel bedeutet jedoch nicht, dass es einfacher für die Frauen wird, da die ersten vier Tage aus einem Mannschaftszeitfahren, einer Etappe im Strade Bianche-Stil mit Schotterabschnitten sowie zwei Bergankünften besteht.
Der Kampf gegen die Uhr findet rund um Grosseto statt und ist 16,8 Kilometer lang. Hier können die Sieganwärterinnen schon einiges an Boden gut machen - oder auch verlieren. Ähnlich sieht das auf der zweiten Etappe aus. Der erste Schottersektor befindet sich nach nur 14 Kilometern. Dann führt der Weg das Peloton den Monte Amiata bis zum Aufstieg von Seggiano über teilweise unbefestigten Straßen, bis nur noch elf Kilometer zu fahren sind.
Die erste Bergankunft wartet am dritten Tag in Assisi auf die Fahrerinnen, die in Santa Fiora gestartet sind. Nach hügeligen 142,2 Kilometern muss das Feld einen Anstieg der ersten Kategorie zur Ziellinie bewältigen. Bei der vierten Etappe, die von Assisi bis Tivoli führt, haben sich die Veranstalter etwas Besonderes einfallen lassen. Mit der Gesamtstrecke von 170,3 Kilometern übersteigt die Route das von der UCI empfohlene Maximum für ein Damenrennen um gut zehn Kilometer - so ist nicht nur die Bergankunft eine Herausforderung, sondern für viele sicherlich auch die Distanz.
Am fünften Tag dürften erstmals die Sprinterinnen zum Zuge kommen. Die sechste Etappe von Torre del Greco nach Nola ist mit 97,5 Kilometern kurz, aber auch nicht einfach. 25 Kilometer vor dem Ziel wird der letzte Gipfel überwunden, ehe eine lange Abfahrt ins Ziel erfolgt. Eventuell haben hier auch einige schnelle Fahrer noch einmal die Chance, aufzuschließen und um den Tagessieg mitzufahren. Von Nola geht es auf der siebten Etappe schließlich weiter nach Maddaloni. Die 112,5 Kilometer lange Route weist ein eher hügeliges Profil auf.
Die achte und neunte Etappe enthalten schließlich zwei weitere Bergankünfte - und die Entscheidung um den Gesamtsieg wird voraussichtlich nicht vor dem Schlusstag fallen. Während der vorletzte Tag mit 91,4 Kilometern von Castelnuovo della Daunia nach San Marco La Catola das kürzeste Teilstück ist, müssen die Fahrerinnen zwei steile Anstiege der zweiten Kategorie bewältigen, bevor es auf dem neunten Teilstück ernst wird. Der finale Abschnitt des Giro Rosa ist dafür gerüstet, Überraschungen bereitzuhalten. Die Veranstalter haben um Motta Montecorvino eine Strecke über 109,8 Kilometer kreiert, die erneut mit dem Volturno einen Berg der zweiten Kategorie beinhaltet. Die 27,5 Kilometer lange Runde wird insgesamt viermal befahren.
Die Favoritinnen
24 Teams aus 14 verschiedenen Nationen werden an der Ausgabe 2020 teilnehmen. Acht sind UCI Women's WorldTeams und die restlichen 16 sind UCI Women's Continental Teams. Titelverteidigerin ist Annemiek van Vleuten, die die Italien-Rundfahrt in den vergangenen beiden Jahren schon für sich entschied. Mit ihrem kürzlich gewonnen Europameistertitel und ihren bereits sechs Saisonsiegen hat die Niederländerin bereits bewiesen, dass wieder mit ihr zu rechnen ist. Viele stellen sich auch die Frage, ob die Weltmeisterin überhaupt zu schlagen ist.
Versuchen will das eine ganze Reihe von Fahrerinnen. In den letzten Rennen gehörte Elisa Longo Borghini (Trek-Segafredo) zu den ärgsten Widersacherinnen Van Vleutens. Die Italienerin beendete den Giro Rosa 2017 bereits auf dem zweiten Gesamtrang und präsentierte sich in den vergangenen Rennen stark. 2017 ähnelte die Strecke in Italien etwas der von diesem Jahr. Auch ihre Teamkollegin Elizabeth Deignan, vor anderthalb Wochen Siegerin bei La Course, könnte für eine Überraschung sorgen.
Eine weitere Sieganwärterin ist Anna van der Breggen (Boels-Dolmans). Die Olympiasiegerin und Ex-Weltmeisterin konnte sich schon zweimal in die Siegerliste des Giro Rosa eintragen, zuletzt 2017. Van Vleuten wurde damals Dritte. Obendrein wurde sie vergangenes Jahr Zweite und schon zweimal Dritte - die Rundfahrt liegt ihr also definitiv. Und auch sie scheint topfit zu sein: In den vergangenen Wochen beeindruckte Van der Breggen mit ihren Siegen bei der Niederländischen Straßenmeisterschaft sowie im Einzelzeitfahren der Europameisterschaft.
Viel vorgenommen hat sich auch Katarzyna Niewiadoma vom deutschen Frauen-Profiteam Canyon-Sram. «Ich würde gerne ein rosa Trikot mit dem Canyon-Sram Logo darauf sehen», sagte die Polin. «Ich persönlich strebe den größten Giro Rosa meiner Karriere an. Ich möchte mein Bestes geben und das Rennen ohne Reue und ohne Energie in meinem Körper beenden.» Bislang fehlte Niewiadoma immer ein kleines Quäntchen Glück, nachdem sie im vergangenen Jahr das Führungstrikot schon einige Tage trug. Das Zeug zum Giro-Podest hat sie aber auf jeden Fall.
Unter den Favoritinnen darf man natürlich auch nicht Marianne Vos vergessen. Die großartige Niederländerin hat den Giro Rosa schon dreimal für sich entschieden - wenngleich ihr letzter Gesamterfolg ins Jahr 2014 zurückreicht. 2019 aber gewann sie gleich vier Etappen, verlor aber auf der ersten großen Bergetappe zu viel Zeit. Selbst wenn es für die 33-Jährige nicht fürs Gesamtklassement reicht, so ist mit ihr auf jeden Fall auf den Etappen zu rechnen. Und ihr Team CCC-Liv hat mit Ashleigh Moolman-Pasio ohnehin eine weitere Kandidatin auf den Gesamterfolg. Die Südafrikanerin fuhr 2018 auf den zweiten Platz und verpasste das Podest im vergangenen Jahr als Vierte nur knapp.
Zum Kreise der Favoritinnen dürfte auch Cecilie Uttrup Ludwig (FDJ Nouvelle Aquitaine Futuroscope) zählen, aber wohl eher als Außenseiterin. Die Dänin hat vor einigen Wochen überzeugend das italienische Eintagesrennen Giro dell'Emilia gewonnen, was sicherlich etwas über ihre Qualitäten an Anstiegen aussagt. Allerdings konnte sie dort bei La Course keinen Unterschied machen. Ungenutzt wird die sympathische Rennfahrerin ihre Chancen aber sicherlich nicht lassen.
Ein bisschen die große Unbekannte ist Mavi García (Alé-Cipollini). Die 36-jährige Spanierin ist in diesem Jahr in der Weltspitze angekommen und beeindruckte vor allem bei Strade Bianche, wo sie sich im Finale als Solistin an die Spitze des Rennens setzte und sich am Ende nur Van Vleuten geschlagen geben musste. Sie hat einen aggressiven Rennstil und scheut nicht davor zurück, wieder und wieder anzugreifen. Die Tour Cycliste Féminin International de l'Ardèche (UCI 2.1), die nur zwei Etappen weniger als der Giro Rosa umfasst, beendete García gerade auf dem zweiten Rang, nachdem sie die ersten beiden Teilstücke gewinnen konnte.
Die Deutschen
Am Start des Giro Rosa sind insgesamt vier deutsche Rennfahrerinnen und die beiden deutschen Frauen-Profiteams. Ceratizit-WNT hat die Deutsche Meisterin Lisa Brennauer in seinen Reihen und hat weiter Erica Magnaldi, Lara Vieceli, Ane Santesteban, Maria Giulia Confalonieri sowie die mehrfache Weltmeisterin Kirsten Wild nominiert. Canyon-Sram geht mit Lisa Klein sowie Katarzyna Niewiadoma, Alena Amialiusik, Hannah Barnes, Elena Cecchini und Omer Shapira ins Rennen. Liane Lippert startet mit dem Team Sunweb und Nadine Gill gibt ihr Debüt für ihre neue Profimannschaft Bizkaia Durango.
Fehlen wird Clara Koppenburg, der die schweren Bergetappen der Italien-Rundfahrt sicherlich gelegen hätten. Allerdings muss sie die 25-Jährige eine Entzündung im Fuß auskurieren.
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Van Vleuten geht zuversichtlich in den Giro Rosa