Madrid (dpa) - Jan Ullrichs ehemaliger Teamchef Wolfram Lindner rechnet im Zusammenhang mit der Armstrong-Affäre mit weiteren Doping-Enthüllungen.
«Wenn die 40 positiven Doping-Analysen aus dem Jahr 1998, die der UCI vorliegen, den Namen der betreffenden Fahrern zugeordnet werden, gibt es einen großen Knall. Dann gibt es wahrscheinlich nur noch fünf oder sechs ProTour-Teams, die von Doping unbelastet sind. Die Veröffentlichungen sind nur eine Frage der Zeit», sagte Lindner in Madrid.
Lindner betreute Ullrich 2003 in der Kurzzeit-Mannschaft Coast. Zuvor war der 64-Jährige acht Jahre Schweizer Nationaltrainer, zwei Jahre Bundestrainer. Seine Trainer-Karriere begann er vor 20 Jahren als Coach der DDR-Auswahl. Seit Beginn dieses Jahres hat der Berliner die Nationalmannschaft des Iran unter seinen Fittichen. Sein WM-Ziel in Madrid: «Wenn wir im Straßenrennen der Elite zwei, drei unserer sechs Starter ins Ziel bringen, bin ich zufrieden», sagte Lindner. Zum Jahresende will er sich entscheiden, ob er weiter Entwicklungs-Hilfe im Iran leisten will: «Wenn sich der Verband entschließt, professionell zu arbeiten, bin ich dabei», erklärte Lindner, der zwischen seiner Heimatstadt und Teheran pendelt.
Als früherer DDR-Trainer sind ihm Doping-Praktiken sicher nicht fremd. Aber Lindner berichtete in Madrid von entsprechenden Erfahrungen aus späterer Zeit. Der Schweizer Ex-Profi Rolf Järmann, den er als Schweizer National-Coach näher kennen lernte, habe ihm von rigorosen Doping-Anweisungen aus der Teamleitung seiner letzten französischen Casino-Mannschaft berichtet: Entweder sollte sich der Profi der Team-Order unterwerfen und das Blutdopingmittel EPO spritzen oder er hätte keinen Vertrag erhalten. Lindner: «Er fragte nach meinem Rat und ich sagte ihm: Wenn du noch Rente beziehen willst, solltest du es lassen.»
Zumindest bis zur Skandal-Tour 1998 sei EPO-Konsum, der auch Armstrong in sechs aufgetauten B-Proben von 1999 bei seinem ersten Tour-Sieg nachgewiesen wurde, im Fahrerfeld weit verbreitet gewesen. Das hatte Järmann (39) im vorigen Monat in der «Frankfurter Allgemeinen» erklärt. Manipulationen mit EPO seien «Teil des Wettbewerbes» gewesen. «In der Zeit, in der ich gefahren bin, war EPO weit verbreitet. Deshalb hatten alle die gleichen Chancen. Ich hatte das Gefühl, meine Konkurrenten nehmen das gleiche», sagte Järmann, der 13 Jahre lang Profi war, der 1999 zurücktrat und EPO bis 1998 nahm: «Danach habe ich es nicht mehr angerührt.»