Berlin (dpa) - In einem imaginären Nationalteam würden sie eine schlagkräftige Truppe bilden - bei der am Samstag beginnenden 98. Tour de France sind die zwölf deutschen Radprofis aber auf neun Mannschaften versprengt.
Im Jahr eins ohne heimisches Eliteteam fristen die Deutschen weitgehend Einzelkämpfer-Dasein - mit einer übersichtlichen Zahl von Trümpfen, aber dennoch profunden Aussichten.
Die größten Chancen auf Etappensiege werden André Greipel (Omega Pharma-Lotto/Belgien), Andreas Klöden (RadioShack/USA) und Tony Martin (HTC Highroad/USA) zugetraut. Mit dem Sprinter und Tour- Debütanten Greipel, Sebastian Lang und Marcel Sieberg bietet Omega die meisten deutschen Tour-Starter auf. Eine Mannschaft «Made in Germany» fehlt nach dem Milram-Aus zum ersten Mal seit 19 Jahren.
In Frankreich fahren die Deutschen aber nicht für sich und ihre Rennställe - abseits von Tageserfolg und Jubel in schweren Zeiten wollen sie für eine allgemeine Belebung ihres hierzulande kriselnden Sports sorgen. «Wenn ich oder Greipel eine Etappe gewinnen, oder einer vielleicht sogar mal Gelb holt, hätte das sicher positive Auswirkungen auf den Radsport in unserem Land und könnte vielleicht sogar wieder Sponsoren auf den Plan rufen», meinte Martin.
Der Wahl-Schweizer liebäugelt mit einer Platzierung unter den Top Ten und hat vor allem das Zeitfahren am vorletzten Tour-Tag in Grenoble im Visier. Auf dieser Strecke gewann er jedenfalls den Kampf gegen die Uhr bei der Tour-Generalprobe Dauphiné Libéré souverän.
Erfolgserlebnisse, die in den vergangenen Jahren aus hiesiger Sicht rar waren, könnten auch die TV-Gewaltigen von ARD und ZDF ins Grübel bringen. Ihre Entscheidung, vom großen Sommertheater aus Frankreich ab 2012 nicht mehr live zu berichten, könnte angesichts der Eurosport-Konkurrenz bei einem Tour-Höhenflug vielleicht noch einmal revidiert werden. Allerdings sprechen die allgegenwärtigen Doping-Affären und -Gerüchte als dissonante Begleitmusik dagegen.
Auf eine Belebung durch Erfolge hofft der deutsche Ex-Meister Christian Knees (Sky): «Egal, wer von uns für Furore sorgen kann: Wenn das auf gute und schöne Art passiert, wird das dem Radsport hierzulande helfen».
Reichlich Tour-Erfahrung haben neben Klöden auch Danilo Hondo (Lampre), Sebastian Lang, Linus Gerdemann und vor allem Haudegen Jens Voigt (beide Leopard-Trek) zu bieten. Mit seiner 14. Teilnahme ist der sechsfache Vater aus Berlin längst deutscher Rekordhalter. Der zweifache Etappensieger und Träger des Gelben Trikots ist aber ebenso wie der überwiegende Teil der Deutschen für Helferdienste abgestellt - einzig Martin und Klöden stehen in den Team-Hierarchien weiter oben.
Voigt und Gerdemann bilden den Begleitschutz für den Mitfavoriten Andy Schleck aus Luxemburg, der nach zwei zweiten Plätzen hinter dem umstrittenen Alberto Contador endlich einmal auf den Thron will.
Knees kurbelt für den vielversprechenden Briten Bradley Wiggins, die Top sechs sind laut Knees «realistisch». Hondo gibt wieder den unerschrockenen «Chauffeur» für den italienischen Sprinter Alessandro Petacchi, der sein Grünes Trikot vom Vorjahr verteidigen will. Lang ist der verlängerte Arm von Omega-Teamchef John Lelange und will seinem Kapitän Cadel Evans zumindest wieder auf das Podium helfen.
Die zwölf deutschen Tour-Starter:
Marcus Burghardt (Wohnort: Steinmaur/Schweiz, Alter: 28, Team: BMC)
Gerald Ciolek (Pulheim, 24, Quick Step)
Linus Gerdemann (Münster, 28, Leopard Trek)
André Greipel (Hürth, 28, Omega Pharma-Lotto)
Danilo Hondo (Lugano/Schweiz, 37, Lampre-ISD)
Andreas Klöden (Kreuzlingen/Schweiz, 36, Radioshack)
Christian Knees (Euskirchen, 30, Sky)
Sebastian Lang (Erfurt, 31, Omega Pharma-Lotto)
Tony Martin (Kreuzlingen/Schweiz, 26, HTC-Highroad)
Grischa Niermann (Hannover, 35, Rabobank)
Marcel Sieberg (Bocholt, 29, Omega Pharma-Lotto)
Jens Voigt (Berlin, 39, Leopard Trek)