Burgos (dpa) - Der «Hai von Messina» genannte Vincenzo Nibali zeigt Schwächen. Die will «Opa» Chris Horner ausnutzen: Der fast 42 Jahre alte Radprofi aus dem RadioShack-Rennstall greift bei der 68. Vuelta nach dem Roten Trikot.
Auf der 16. Etappe hatte Spitzenreiter Nibali 22 Sekunden von seiner Führung eingebüßt und wirkte zum ersten Mal nicht mehr souverän. Die Karten für das Finale werden neu gemischt. Der 28 Sekunden hinter Nibali liegende Horner hat Hoffnungen auf den ganz großen Coup. «Das Podium ist mir schon ziemlich sicher. Jetzt versuche ich, noch den einen entscheidenden Schritt nach vorn zu machen», sagte der US-Profi.
Bisher hatte Nibali, der Gesamtsieger der Ausgabe von 2010, nach Meinung der spanischen Tageszeitung «El Pais» die Vuelta mit «beinahe beleidigender Leichtigkeit» kontrolliert. Doch damit hatte es auf der dritten und letzten Pyrenäenetappe ein Ende. Unter Druck setzten ihn die Spanier Joaquim Rodriguez und Alejandro Valverde, die selbst ein Duell um den untersten Podestplatz ausfechten. Ihren fortwährenden Attacken konnte Nibali drei Kilometer vor dem Gipfel nicht mehr folgen. Nutznießer war Horner, der im kommenden Monat Geburtstag feiert.
Seine außergewöhnliche Form erklärt der US-Profi, ähnlich wie Teamkollege Jens Voigt auch in hohem Alter noch zu Topleistungen fähig, mit den wenigen Renntagen, die er in dieser Saison bestritten hatte. «Er ist neben Vincenzo der Ausgeruhteste von allen hier. Beide haben die Tour de France ausgelassen und sich speziell auf die Vuelta vorbereitet», erklärte Nibalis Teamchef Giuseppe Martinelli. «Valverde und Rodriguez werden in den kommenden Tagen ihrer langen Saison sicher Tribut zollen müssen», wagte er einen Blick voraus.
Aber auch sein Schützling wirkt müde. «Ich spüre das Gewicht des Führungstrikots. Ich hatte es ja schon am ersten Tag. Die vielen Medientermine nach dem Rennen kosten einfach Kraft», meinte Nibali. Der Giro-Sieger dieses Jahres, der in Spanien das seltene Double anpeilt, hatte zudem den Wechsel von den eiskalten Temperaturen an den vorangegangenen zwei Tagen zu neuerlichem Sonnenschein schlecht verkraftet. Beherrschte er bei Kälte und Nässe das Feld noch locker, hatte er nichts zum Zusetzen, als die Sonne die Batterien seiner Gegner wieder aufgefüllt hatte.
Den Vuelta-Organisatoren kommt seine Schwäche zupass. «Für uns ist ein enges Rennen ein gutes Rennen», meinte Vuelta-Direktor Javier Guillén, dessen Lieblingsszenario ein Duell zwischen einem einheimischen Profi und einem Star aus dem Ausland vorsehen würde. Das ist angesichts der Rückstände von Valverde (1:14 auf Nibali) und Rodriguez (2:29) sowie Horners Position wenig wahrscheinlich.
Die spanischen Radsportfans hoffen dennoch weiter. «Was ist dein Fuente Dé?», fragten spanische Reporter hoffnungsvoll ihre beiden Stars. Auf der vom Profil her nur mittelschweren Etappe nach Fuente Dé hatte bei der Vuelta 2012 Alberto Contador mit einer unkonventionell frühen Attacke 50 Kilometer vor dem Ziel mehr als zwei Minuten auf den damaligen Gesamtführenden Rodriguez herausgefahren und sich das Trikot im Vuelta-Endspurt geholt. Die Wiederholung der Geschichte bei der Spanien-Rundfahrt 2013 erscheint aber höchst unwahrscheinlich.