Berlin (dpa) - Erik Zabel gilt als Mailand-San Remo-Fachmann. Beim Namen-Poker der möglichen Sieger der 104. Austragung des ersten und längsten Saison-Klassikers präsentierte der vierfache Sieger der «Primavera» eine Überraschung.
«Gerald Ciolek ist mein Geheimtipp für Sonntag. In Belgien und Italien hat er bisher einen enorm starken Eindruck hinterlassen», sagte der einstige deutsche Vorzeige-Profi und verweist auf die Fähigkeiten des neuen Ciolek-Chefs Jens Zemke im südafrikanischen MTN Qhubeka-Team: «Er hat die richtigen Knöpfe bei ihm gefunden und gedrückt.» Auch der Vorjahres-Fünfte John Degenkolb steht auf dem 298 Kilometer langen Parcours bei Zabel trotz leichter gesundheitlicher Irritationen hoch im Kurs.
«Degenkolb kann enorm hart trainieren und sich punktuell vorbereiten. Er hat in der Vergangenheit schon oft mit 14-tägiger Rennpause Topresultate geliefert. Vielleicht hat ihm der frühe Ausstieg bei Tirreno-Adriatico sogar gut getan», sagte Zabel der Nachrichtenagentur dpa. Der WM-Vierte des Vorjahres war bei der Mailand-San Remo-Vorbereitung bei eisigen Temperaturen und Dauerregen mit einer Muskelverhärtung im Oberschenkel ausgestiegen. Inzwischen fühlt sich Degenkolb wieder «richtig gut».
Frühlingsgefühle werden die Radprofis auch auf dem Weg zur Blumenriviera kaum überkommen. Die Meteorologen haben Regen und Schnee vorausgesagt. Das miese Wetter könnte ein weiteres Argument für einen Erfolg des Topfavoriten Peter Sagan sein. Der Slowake mit den riesigen Händen ist auch bei Zabel, inzwischen sportlicher Leiter im russischen Katusha-Team, der heißeste Favorit. Der Kandidat - aber nicht nur er - übt sich derweil in Understatement.
Sagan machte mit seinen zwei Siegen bei Tirreno-Adriatico großen Eindruck, will aber von der Favoritenrolle nichts wissen: «Schon im Vorjahr haben alle gesagt, ich gewinne. Tatsächlich habe ich in San Remo aber noch nie gewonnen. Gerade dieses Rennen ist schwer zu planen.» Auch Ex-Weltmeister Mark Cavendish, der Sieger von 2009, der in seinem Omega-Quickstep-Team ohne den Tempomacher Tony Martin auskommen muss, schiebt alle Verantwortung von sich: «Ich kann gar nicht gewinnen».
Zabel hat seinen einstigen Schüler Cavendish zuletzt bei Rennen in Flandern getroffen. «Er hat mir gesagt, dass Mailand-San Remo in diesem Jahr nicht die allerhöchste Priorität für ihn besitzt. Allerdings bleibt er in jedem Fall zu beachten, zumal der Fokus weniger auf ihm liegen dürfte», berichtete Zabel.
Anders als Sagan und Cavendish ist Fabian Cancellara, Sieger von 2008, eher für die klare Ansage. Nach seinem schweren Sturz im Londoner Olympiarennen legte der viermalige Zeitfahr-Weltmeister eine mehrmonatige Zwangspause ein und fühlt sich jetzt wieder fit und motiviert. «Es war wichtig, das Jahr 2012 emotional zu verdauen. Der Biss ist wieder da», sagte der Schweizer, der ankündigte, in diesem Frühjahr «noch einige Rechnungen» begleichen zu wollen.
Dazu würde sicher auch eine Revanche für die Niederlage des Vorjahres gehören, als sich der spätere Sieger Simon Gerrans bis zum letzten Moment hinter dem mutig attackierenden Cancellara versteckt hatte und auf dem Zielstrich an ihm vorbeischoss.