Pau (dpa) - Zugmaschine für die Schleck-Brüder, Motivator der Leopard-Equipe, Mosaikstein zum möglichen Tour-Triumph: Auch im zarten Alter von knapp 40 Jahren versetzt Jens Voigt die Radsport-Welt weiter in Erstaunen.
Als «Dampflok» über den berüchtigten Tourmalet bereitete der Berliner seinen Team-Kapitänen Frank und Andy Schleck den Weg zum ersten Erfolg im Kampf um das Gelbe Trikot. «Das war ein guter Moment, um einen guten Tag zu haben», meinte Voigt lapidar. Teamchef Brian Nygaard suchte nach Worten für die Glanzleistung: «Unfassbar, eine seiner schönsten Etappen, etwas ganz Besonderes... Chapeau!»
Der älteste Profi im Tour-Peloton hängte auf der ersten schweren Pyrenäen-Etappe nicht nur reihenweise Fahrer ab, die seine Söhne sein könnten. Vor allem sprang er für die Teamkollegen Linus Gerdemann und Jakob Fuglsang in die Bresche, als diese nach Stürzen und Defekten ausfielen. «Man muss einfach Danke sagen», betonte Nygaard zur schier unmenschlichen Leistung von Voigt zum Auftakt im Hochgebirge.
«Es gab zuvor keine Indizien dafür, dass man Berge versetzen kann», meinte Voigt, der sich auf der 12. Etappe auch von einem Wespenstich am Hals nicht entscheidend behindern ließ. «Die Schlecks haben bestimmt, wie ich das Tempo vorne machen soll», sagte er am Freitag, als er bei der Einschreibung am Etappenstart in Pau von den Fans frenetisch gefeiert wurde.
Der Berliner, der 2008 in Carlos Sastre schon einmal einen Kapitän zum Tour-Sieg geleitet hatte, weiß, dass vor dem wohl entscheidenden Zeitfahren am vorletzten Tag in Grenoble noch viel Arbeit wartet. «Auf Ivan Basso und Cadel Evans müssen wir noch einen Vorsprung von mindestens zwei Minuten herausfahren», forderte Voigt.
Mit den Schleck-Brüder verbindet Voigt eine tiefe Freundschaft. «Das war auch der Grund für meinen Wechsel nach sieben schönen Jahren bei Bjarne Riis», meinte der Rad-Opa. Ausgerechnet Riis' Top-Fahrer Alberto Contador, dem im August eine Doping-Sperre droht, versetzte auch Voigt einen weiteren Schlag im Kampf um den Tour-Sieg.
Zweimal trug Voigt das Gelbe Trikot bei der Frankreich-Rundfahrt, 2001 und 2005, zudem feierte er zwei Etappensiege. Beim Deutschland-Tour-Sieg 2006 hatte der gebürtige Mecklenburger die Fachwelt schon einmal mit einer ähnlichen Performance in den Bergen beeindruckt.
Im Gebirge erlebte der sechsfache Familienvater am 21. Juli 2009 aber auch seine größte Schrecksekunde: Auf einer Abfahrt vom Kleinen Sankt Bernhard stürzte Voigt bei hohem Tempo und brach sich Jochbein und Kiefer, erlitt eine Gehirnerschütterung und stand vor dem Ende der Karriere. Die Bilder vom blutenden und bewusstlosen Radprofi gingen um die Welt. Nur 48 Tage danach feierte Voigt sein Comeback.
Die aktuelle Tour de France soll seine letzte sein, hat Voigt am Start der Rundfahrt angedeutet. Nun kommt aber wohl nicht nur Nygaard ins Grübeln, der seinen erfahrensten Schützling wegen «Herz, Kopf und Beine» lobt. Sag niemals nie, könnte Voigts Devise sein. «Da ist noch Leben im alten Hund», teilte er via Twitter mit. Gegen den Kurznachrichtendienst hatte er sich auch lange, letztlich aber erfolglos gesträubt.