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Olympische Spiele 2000 in Sydney
Deutsche Bahnradsportler auf ganzer Front medaillenfähig


Frankfurt/Main (rad-press) Wie viele australische Dollar müssen die deutschen Bahnradsportler bei der Rückkehr aus Sydney für Übergepäck bezahlen? Niemanden würde es stören, wenn die Waage auf dem Flughafen Kingsford Smith wegen der vielen Medaillen ächzen und stöhnen würde und die australischen Beamten zu dem Schluss kommen müssen: Das ist ein bisschen viel Edelmetall, was die Arndt, Bartko, Fiedler und Co. aus dem Lande "down under" nach Deutschland entführen. Wie viele goldene, silberne und bronzene Plaketten es genau sein sollen, darauf mag sich BDR-Vizepräsident Burckhard Bremer, bei Olympia als Delegationsleiter für die deutsche Nationalmannschaft und also auch für deren Übergepäckfragen zuständig, lieber nicht festlegen. Nur soviel zur Prognose für die Wettkämpfe im 6.000 Zuschauer fassenden "Dunc Gray Velodrome", das etwa 20 Kilometer von Sydneys Zentrum entfernt für ca. 53 Millionen Mark gebaut wurde: "Nach den Weltmeisterschaften im vergangenen Jahr in Berlin ist Optimismus angesagt. Wenn wir das WM-Ergebnis wiederholen, dann können wir sehr zufrieden sein."

Dreimal Gold und jeweils viermal Silber und Bronze gewann die BDR-Bahnfraktion im vorigen Oktober. Nur die überragenden Franzosen (7/1/2) rangierten sich in der Nationenwertung vor den Gastgebern ein. Ein grandioses Ergebnis der deutschen Mannschaft, bedenkt man, dass erfolgsverwöhnte Länder wie Australien oder Italien im Berliner Velodrom lediglich zwei Silbermedaillen bzw. eine Bronzemedaille herausfahren konnten. Nach ihrer Enttäuschung hatten die "Aussies" den medaillengeschmückten Athleten umgehend angekündigt, bis zu den Olympischen Spielen vom 15. September bis 1. Oktober 2000 im eigenen Land zu alter Stärke zurückfinden zu wollen. Allein diese Kampfansage sowie die Bemühungen der internationalen Konkurrenz illustrieren: Das Ergebnis von ‘99 auswärts zu wiederholen, wäre für das Team der Bundestrainer Bernd Dittert, Detlef Uibel und Hans-Joachim Hartnick eine geradezu erstaunliche Leistung.

"Alle Verbände haben sich wahrscheinlich so intensiv wie noch nie auf den Jahreshöhepunkt vorbereitet", ist Sprintertrainer Uibel sicher und weist auf die Vor- und Nachteile des erweiterten olympischen Programms für die Ovalflitzer hin. Die Ausdehnung um vier Disziplinen (Zeitfahren Frauen, Keirin, Olympischer Sprint und Zweiermannschaft bei den Männern erleben in Sydney ihre olympische Premiere) sei keinerlei Garantie für zusätzliche Plätze auf dem olympischen Siegertreppchen. So schön es sei, mehr Chancen zu haben, weiß Uibel zugleich um die Kehrseite der erhofften Ausbeute. "Das umfassendere Programm führt zu einer größeren Spezialisierung. Es fällt auf, dass sich kleinere Verbände gezielt auf ganz bestimmte Disziplinen verlegen. Beispielsweise konzentrieren sich Nationen wie Griechenland, England und Spanien seit längerem auf den Olympischen Sprint und können uns da das Leben sehr schwer machen." Für die ‘Großmächte‘ werde es unter diesen Bedingungen immer komplizierter, sämtliche Disziplinen erstklassig zu besetzen und auf breiter Front die Plätze eins bis drei zu behaupten.

Die vierzehn für Sydney qualifizierten BDR-Athleten sollten potentiell dazu in der Lage sein. Genau genommen sieht es so aus, als hätten die drei Frauen, die vier Sprinter und sieben Verfolger das Zeug, in jeder Disziplin aufs Podium zu spurten.

Uibel gibt denn für Sprinter genau dies als "Aufgabenstellung" aus. Allen voran vertraut er dabei auf Jens Fiedler, der keinerlei Hehl aus seinen Ambitionen macht. "Ich will zum dritten Mal im Sprint Gold gewinnen. Aber egal wie es ausgeht, ich mache auf jeden Fall bis Athen 2004 weiter", sagt der Profi aus Heidenau, der bereits in Barcelona 1992 und Atlanta 1996 ganz oben stand und mit dem Triple unbestritten zur historischen Figur avancieren würde: Zum heißen Kandidaten für eine noch zu gründende "Hall of Fame" des Bahnradsports.

Die Aussichten sind auch deswegen gut, weil Fiedler mit Jan van Eijden aus Dudenhofen einen Mann an seiner Seite weiß, der stark genug ist, auch größte Brocken aus dem Weg zu räumen und sogar selbst ins Rampenlicht zu fahren. Dass Fiedler auf dem Weg zum dritten Gold diesmal nicht ausschließlich in seiner Spezialdisziplin antritt, sondern an drei Wettbewerben teilnehmen wird, sieht der Schützling von Trainer Karsten Schmalfuß keineswegs als ungebührlichen Kraftakt an, der ihn womöglich an seinem größten Coup hindert. "Im Gegenteil wäre es großartig, wenn wir gleich am Anfang mit der Mannschaft im Olympischen Sprint ins Finale kämen. Einen besseren Kick für meine anderen Starts könnte ich mir gar nicht vorstellen."

Was Fiedler als Selbstvorlage in eigener Sache bezeichnet, soll für das gesamte Bahnteam der Ausgang des 1000-m-Zeitfahrens sein. "Das ist traditionell die erste Disziplin, und es gibt dem ganzen Team einen unwahrscheinlichen Ruck, wenn es gleich gut losgeht", weiß Sören Lausberg um seine Verantwortung als "Stimmungskanone". Nachdem der 100-Kilo-Mann Ende Juli einen neuen deutschen Rekord aufstellte, zählt er über den Kilometer ebenso zu den Favoriten wie der Schweriner WM-Dritte Stefan Nimke. Und das deutsche Trio im Olympischen Sprint ist sowieso eine Bank.

Während die Sprinter noch bis zum 3. September in der Heimat trainieren und erst dann nach Australien aufbrechen, hoben die Verfolger bereits am 24. August in Richtung "down under" ab. Bei einer Rundfahrt auf Tasmanien hieß es, noch einmal Kraft tanken, ehe am 4. September der Umzug nach Sydney erfolgt und die Gewöhnung an das 250 m lange Olympia-Holzoval angesagt ist. "Zwei Wochen reichen dafür aus. Der Zeitplan ist optimal, damit wir uns ganz in Ruhe und ohne Stress mit den Bedingungen vertraut machen können. Schließlich ist noch keiner von uns auf dieser Bahn gefahren", erklärt Robert Bartko. Seit der Berliner bei der WM zuhause in der Einzelverfolgung und mit dem Vierer zum Titel fuhr, lasten auf seinen Schultern die größten Hoffnungen für Olympia. "Nach diesen Erfolgen ist es ganz normal, dass man einen Rucksack zusätzlich mitnimmt. Ich will mich davon nicht verrückt machen lassen", sagt Bartko und hat in Bernd Dittert einen Trainer an der Seite, der seine Mannen von außen nicht allzu sehr unter Druck gesetzt wissen will. "Natürlich werden wir an den WM-Ergebnissen gemessen, aber die Erwartungen sollen nicht zu extrem sein", mahnt der Erfurter, der dem Anfang des Jahres auf Mallorca tödlich verunglückten Robert Lange ins Amt folgte, Realismus an. Die Erinnerungen an das tragische Ereignis im Trainingslager werden bei den Ausdauerspezialisten gerade jetzt wieder wach - und zur zusätzlichen Motivation für Olympia. "Zusammen mit den Heimtrainern hatte Robert Lange sehr großen Anteil daran, dass wir international wieder ganz weit nach vorn gekommen sind. Wenn wir in Sydney aufs Rad steigen, dann wollen wir auch ihm zu Ehren das Maximale herausholen. Und natürlich auch für Bernd Dittert, der als neuer Trainer einen kräftigen Rückenwind gut gebrauchen kann", sagt Guido Fulst.

Der Kopf des deutschen Vierers weiß am besten, wie nahe Sieg und Niederlage bei Olympia beieinander liegen. 1992 in Barcelona stand der Berliner in der Königsdisziplin ganz oben auf dem Treppchen, 1996 in Atlanta verpasste er mit der Mannschaft das Viertelfinale.

Die bittere Stunde ist längst vergessen. "Natürlich ist nicht Platz neun vor vier Jahren der Maßstab, sondern der WM-Titel von 1999", gibt Dittert die Richtung vor und betont, dass das Hauptaugenmerk auf der Einzel- und Mannschaftsverfolgung liegt. Mit Routiniers wie Fulst (30), Jens Lehmann aus Leipzig (32) und Olaf Pollack, der in Sydney seinen 27. Geburtstag feiert, sowie den jüngeren Leuten um Bartko (24), Daniel Becke (22), Christian Lademann (24) und Thorsten Rund (24) verfüge das Team über eine "gesunde Mischung". "Über Medaillen können wir nachdenken. Inwieweit es für ganz vorne reicht, ist eine andere Sache", sagt Dittert.

Dasselbe gelte für Punktefahren und Zweiermannschaft. Disziplinen, die nicht berechenbar seien. "Das ist eher wie ein Straßenrennen und immer auch mit ein bisschen Glück verbunden." Wer in diesen Disziplinen die BDR-Farben vertritt, ergebe sich aus den 4000-m-Rennen der Solisten und des Teams.

Aussichtsreich schieben ebenfalls die drei deutschen Frauen ihre Rennmaschinen an den Start. Allen voran Judith Arndt, die sich in diesen Tagen nur allzu häufig an ihre Bronzemedaille in der 3000-m-Einerverfolgung von Atlanta erinnert fühlt. "Damals hat sich niemand um mich geschert. Heute ist das ganz anders", weiß die Sportsoldatin, die binnen einer Olympiade von der Außenseiterin zur großen Mitfavoritin avancierte und in Sydney besonders motiviert ist. Mit einem Husarenstück in Australien könnte ihr Traum, im neuen Jahr für ein ausländisches Profiteam zu starten, über Nacht in Erfüllung gehen.

Für die Sprinterinnen Ulrike Weichelt und Kathrin Freitag indes wäre es vermessen, nach ganz oben zu schielen. Mit Félicia Ballanger aus Frankreich steht im Sprint und im Zeitfahren über 500 Meter die Gewinnerin gewissermaßen schon vor Entzündung der olympischen Flamme fest. Hinter der Ausnahmeathletin jedoch ist mit Glück und Geschick manch‘ faustdicke Überraschung möglich. Mit ihrer Bronzemedaille im Zeitfahren hat das die gebürtige Dresdnerin Ulrike Weichelt bei der WM 1999 eindrucksvoll bewiesen.

Einen kleinen Reserveplatz in der Reisetasche für etwaige Medaillen sollten tatsächlich alle BDR-Athleten lassen. Das mit der Übergepäcksondergebühr regelt Burckhard Bremer vor der Rückreise dann sicherlich gern.

Andreas M ü l l e r

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