Berlin (rad-press) - Der Olympia-Countdown läuft!
"Sydney 2000" lautet in knapp zwei Wochen das ganz große sportliche Ziel in
diesem Jahr. In insgesamt 18 Wettbewerben auf Straße (4), Bahn (12) und im Gelände (2)
werden 26 deutsche Radsportler an den Start gehen. rad-press sprach mit Bundessportwart
Burckhard Bremer (Berlin), der die Delegation in Australien anführen wird, über
Medaillenhoffnungen und Erwartungen.
Jan Ullrich und Erik Zabel führen das Aufgebot der
fünf Straßenfahrer an. Wie sieht die letzte Vorbereitung in den nächsten Wochen aus?
Burckhard Bremer: "Jan Ullrich, Andreas Klöden und Rolf Aldag werden als
letzten Wettbewerb vor den Olympischen Spielen in Sydney die Vuelta absolvieren. Erik
Zabel wird als Vorbereitung bei der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt starten, Jens Voigt bis
Mitte September kleinere Rennen in Frankreich bestreiten. Das ganze Team wird sich dann zu
den letzten Trainingseinheiten im gemeinsamen Trainingslager in Brisbane vom 20. bis 24.
September auf die Olympischen Straßenwettbewerbe vorbereiten."
Platz zwei hinter Lance Armstrong bei der Tour dürfte
bei Jan Ullrich den Ehrgeiz geweckt haben, es in diesem Jahr allen noch einmal zu zeigen.
Rechnen Sie bei ihm mit einer nochmaligen Leistungssteigerung?
Burckhard Bremer: "Ich bin davon überzeugt, dass jeder Sportler, der in
Sydney an den Start geht, hochmotiviert ist und sein Bestes geben wird. Ein Erfolg bei
Olympischen Spielen ist sicherlich ein Höhepunkt in jeder Sportlerkarriere. Dafür werden
alle ihre Leistungsreserven aktivieren. Dies gilt aus meiner Sicht natürlich auch für
Jan Ullrich."
Erik Zabel zeigte in diesem Jahr hervorragende
Leistungen bei den Weltcup-Rennen und führt die Gesamtwertung an. Wo liegen Ihrer Ansicht
nach speziell seine Chancen im olympischen Straßenrennen?
Burckhard Bremer: "Neben seinen bekannten Sprinterqualitäten konnte Erik
Zabel in den letzten Jahren seine Fähigkeiten besonders am Berg und sein Stehvermögen
während eines Straßenrennens verbessern. Mit seinem Leistungsvermögen kann man ihn als
kompletten Rennfahrer für Eintagesrennen bezeichnen. Aufgrund seines Könnens und der
nicht extrem anspruchvollen Strecke beim Olympischen Straßenrennen in Sydney kann Erik
Zabel bei einer möglichen Massenankunft seine Sprintschnelligkeit ausspielen, aber auch
abhängig von der Rennentwicklung in einer Gruppe mitfahren und am Ende das Rennen
erfolgreich beenden."
Wie schätzen Sie die Chancen der deutschen Fahrer
angesichts der vermutlich starken Konkurrenz im Einzelzeitfahren und Straßenrennen ein?
Wer gehört für Sie zu den Medaillen-Favoriten?
Burckhard Bremer: "Ich kenne derzeit noch nicht die genaue Meldeliste für
die Straßenwettkämpfe. Im Einzelzeitfahren ist Jan Ullrich als amtierender Weltmeister
neben Armstrong, Zülle und Olano sicher zu den Medaillenkandidaten zu rechnen. Im
Straßenrennen ist der Kreis der Medaillenkandidaten wesentlich größer. Man müsste
sicherlich 20 Fahrer benennen, die für einen Sieg in Frage kommen. Ich hoffe, dass die
deutschen Fahrer bei der Medaillenvergabe ein Wörtchen mitreden werden."
Im Frauen-Radsport kann der BDR sieht man
einmal von der WM 99 ab - auf zwei erfolgreiche Jahre zurückblicken, die deutschen
Olympia-Starterinnen überzeugten in dieser Saison mit einigen Rundfahrt- und
Etappensiegen. Welche Chancen haben die deutschen Fahrerinnen auf dem Kurs von Sydney ?
Burckhard Bremer: "Hanka Kupfernagel als Ausnahmeathletin hat sicherlich
die Fähigkeiten, sowohl im Einzelzeitfahren als auch im Straßenrennen eine Medaille zu
gewinnen. Petra Roßner und Ina Yoko Teutenberg haben im Straßenfahren bei einer
möglichen Sprintankunft ebenfalls Chancen. Zum engsten Kreis der Favoritinnen zählen
sicherlich die Sportlerinnen aus Osteuropa, Italien und Australien. Auch mit der Spanierin
Somarriba, die gerade die Tour de France Féminin gewonnen hat, sollte man in Syndey
rechnen."
Mit Judith Arndt hat der BDR eine
"Allrounderin" im Team, die auf Bahn und Straße gleichermaßen erfolgreich ist.
Auf welche Disziplin wird Sie sich in Sydney konzentrieren?
Burckhard Bremer: "Judith Arndt besitzt ein hohes Leistungspotenzial auf
Bahn und Straße. Als Weltmeisterin 1997 in der Einerverfolgung in Perth und
Vize-Weltmeisterin bei der Bahn-WM 1999 in Berlin wird ihr erster Schwerpunkt auf der
Einerverfolgung liegen, zumal die Bahnwettbewerbe zu Beginn der Olympischen Spiele
stattfinden. Nach den Bahnwettbewerben wird innerhalb der Mannschaft über einen
möglichen Start im Einzelzeitfahren auf der Straße, wo sie 1997 ja auch schon einmal
WM-Dritte war, entschieden."
Die Bahn-Weltmeisterschaften in Berlin galten als
"Generalprobe" für Sydney. Das Ziel, die Franzosen als dominierende Nation
abzulösen, gelang dort trotz herausragender Erfolge deutscher Fahrer und Platz zwei in
der Nationenwertung jedoch nicht. Wird es den Machtwechsel in Sydney geben? In welchen
Disziplinen rechnen Sie die deutschen Bahn-Fahrer und -Fahrerinnen zu den Favoriten?
Burckhard Bremer: "Das Ziel bei den Bahn-Weltmeisterschaften 1999 in Berlin
war, mit den Franzosen gleichzuziehen. Dies ist uns trotz hervorragender Ergebnisse nicht
gelungen, wir sind aber auf jeden Fall näher an die Franzosen herangerückt. Den
Machtwechsel zu vollziehen, ist allerdings ein schweres Stück Arbeit - ob es uns in
Sydney gelingen wird, muss sich zeigen. Was unsere Medaillenchancen betrifft, sind die
deutschen Starter als amtierende Weltmeister in der Einer- und Mannschaftsverfolgung
sicher zu den Favoriten zu zählen, und auch im Sprint und Keirin meldet Jens Fiedler
Ansprüche auf die Goldmedaille an."
Größte Enttäuschung der Spiele 1996 war der neunte
Platz des Vierers in der Qualifikation und das damit verbundene Ausscheiden. Nach dem
Gewinn des WM-Titels 1999 zählt der deutsche Vierer in diesem Jahr zu den Favoriten. Wie
wurden und werden die Fahrer mit dem Druck und der Umstellung durch den Tod von
Bahn-Bundestrainer Robert Lange fertig?
Burckhard Bremer: "Der Verlust von Bundestrainer Robert Lange durch den
tragischen Unfall im Frühjahr 2000 hat den Kader und uns alle kurzfristig aus der Bahn
geworfen. Intensive Gespräche mit den Sportlern und die Übertragung der
Bundestrainer-Aufgaben an Bernd Dittert haben die Mannschaft aber wieder gefestigt und auf
das Ziel Olympia eingeschworen. Die Sportler haben sich vorgenommen, einen möglichen
Olympiasieg oder den Gewinn einer Medaille Robert Lange zu widmen."
Frankreich und Deutschland teilten sich bei der
Bahn-WM in Berlin den Großteil der Medaillen. Rechnen Sie damit, dass in Sydney mehr
Nationen in den Kampf eingreifen werden?
Burckhard Bremer: "Zu den Nationen, die um die Medaillen kämpfen werden,
muss man sicherlich Australien hinzurechnen. Aber auch die Briten und Polen ebenso wie
alle Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion, haben sich gesteigert und werden ein
Wörtchen bei der Medaillenvergabe mitreden."
Im Bahnradsport kommen mit Keirin,
Zweier-Mannschaftsfahren, Olympischem Sprint und dem 500-m-Zeitfahren der Frauen vier
Disziplinen dazu. Manche kritisieren diese "Flut der Wettbewerbe", andere sehen
dies als Chance für den sonst eher unterrepräsentierten Bahnradsport. Wie beurteilen Sie
diese Erweiterung?
Burckhard Bremer: "Gegen die Ausdehnung des Wettkampfprogramms ist nichts
einzuwenden. Da die Starterzahl der einzelnen Nationen vom IOC begrenzt ist, können
Nationen, die nur einzelne Wettbewerbe bestreiten, möglicherweise erfolgreicher
abschneiden. Es muss allerdings darüber hinaus auch dafür gesorgt werden, dass der
internationale Veranstaltungskalender erheblich erweitert wird, da sonst nur noch
Weltmeisterschaften, Weltcup-Rennen und Sechstagerennen stattfinden."
Lado Fumic und Hedda zu Putlitz, die das deutsche
Mountainbike-Aufgebot anführen, zeigten über die gesamte Saison gute Weltcup-Leistungen.
Könnte ihnen in Sydney der Durchbruch in die Medaillenränge gelingen?
Burckhard Bremer: "Der BDR hat vor knapp zwei Jahren mit der Umsetzung
eines neuen Konzeptes im MTB-Bereich begonnen. Dieses Konzept legt einen besonderen
Schwerpunkt auf die Nachwuchsförderung. Im Hinblick auf Olympia wurden die derzeitigen
Leistungsträger wie Lado Fumic und Hedda zu Putlitz mit eingebunden. Eine Platzierung
unter den ersten acht ist bei beiden realistisch, eine Medaille wäre ein Traumergebnis
und würde sicherlich dem MTB-Sport in Deutschland einen neuen Schub geben."
Haben die Agenturmeldungen über Neuschnee in den
australischen Bergen und geringe Temperaturen um 14 Grad für Unruhe im deutschen Team
gesorgt oder ist die Mannschaft auf alle "Notfälle" eingerichtet?
Burckhard Bremer: "Dass in Australien zur Zeit Frühling ist und
dementsprechend Temperaturen um 18 bis 20 Grad herrschen, ist uns bekannt. Die Meldungen
über Schneefälle in den Bergen um Sydney haben uns allerdings schon etwas überrascht.
Die Kleidung des NOK ist zwar auf frühlingshafte Temperaturen ausgerichtet, für
eventuelle Kälteeinbrüche ist die Mannschaft aber mit entsprechender Wettkampfkleidung
ausgerüstet."
Seit der Olympia-Premiere 1896 brachten deutsche
Radsportler von Olympischen Spielen insgesamt 108 Medaillen (39 Gold-, 45 Silber- und 24
Bronzemedaillen) mit. Wieviele Medaillen, glauben Sie, kommen in Sydney dazu?
Burckhard Bremer: "Auf eine genaue Anzahl will und kann ich mich natürlich
nicht festlegen. Ziel ist jedoch, bei den Olympischen Spielen die letztjährige
Medaillenbilanz der Weltmeisterschaften auf Bahn und Straße zu bestätigen. Ein Gelingen
wäre umso erfreulicher, wenn man bedenkt, dass bei den Spielen die Teilnehmerkontingente
wesentlich kleiner sind als bei den Weltmeisterschaften."
Sportler werden in der Regel nach ihren persönlichen
Erwartungen bezüglich der Olympischen Spiele befragt. Heute möchten wir dem
Delegationsleiter diese Frage stellen. Mit welchen persönlichen Erwartungen fahren Sie
nach Australien?
Burckhard Bremer: "Olympische Spiele haben für jeden eine besondere
Bedeutung. Ich hoffe, dass alle Athleten und Athletinnen gesund bleiben und in Sydney in
der Lage sein werden, ihre eigenen Ziele zu realisieren und damit ihre harte Arbeit zu
bestätigen. Um den Aktiven ein optimales Umfeld zu garantieren, erwarte ich natürlich
auch den optimalen Einsatz aller am Unternehmen Olympia Beteiligten, seien es Offizielle,
Mechaniker oder Physiotherapeuten. Nicht zuletzt entscheiden die in Sydney erzielten
Erfolge auch über die Zukunft des deutschen Radsports, denn nach den Spielen erfolgt die
Neueinstufung in die Förderkategorien und damit die finanzielle Absicherung."