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Hallenradsport-Weltmeisterschaft in Prerov
19. bis 21. November 1998

BDR

Hintergrundberichte

Ruckaberle und Bissinger im Favoritenkreis

Vorne mit dabei: Deutsches Frauen-Paar hat Gold im Visier

Dominanz deutscher Männer im Kunstradsport

Wichtig: Nachwuchsförderung und Medienpräsenz

Im Radball werden die Karten neu gemischt / Goldmedaille möglich

Allgemeines

Ruckaberle und Bissinger im Favoritenkreis
Spannend wie selten zuvor verlief die WM-Qualifikation im Einer-Kunstfahren der Frauen: Drei erstklassigen Aspirantinnen standen "leider nur" zwei WM-Startplätze zur Verfügung, und so mußte die amtierende Weltmeisterin Sandra Schlosser am Ende der sieben Qualifikationsdurchgänge ihre WM-Ambitionen für dieses Jahr begraben. Zu spät erreichte sie nach dem verpatzten Start bei den German Masters in Worms ihre Bestform. Zwar sicherte sie sich in Koblenz noch mit einer großartigen Leistung den Meistertitel, ob dieser sie jedoch über die verpatzte WM-Teilnahme hinwegtrösten kann, bleibt fraglich. Auch Sonja Bissinger hatte leichte Startschwierigkeiten bei der ersten Qualifikations-Veranstaltung, zeigte dann jedoch konstante und zum Teil rekordverdächtige Leistungen. Bei ihrer dritten WM gehört sie nach zwei Silbermedaillen zu den heißen Anwärterinnen auf Gold.

Für Astrid Ruckaberle ist es die erste WM. Jedoch verfügt sie nach drei EM-Titeln und der damit bestmöglichen Medaillenausbeute bei den Juniorinnen schon über internationale Erfahrung. Die erst 19jährige zeigte in allen sieben Qualifikations-Durchgängen die konstanteste Leistung der drei Damen, wenngleich es für sie bei der DM-Endrunde "nur" zum dritten Platz reichte. Für den Bundestrainer ist sie eine typische "Siegfahrerin", wenngleich er auch internationale Erfahrung nicht als Nachteil sieht.

Rund eine Woche vor der WM kämpfen die beiden WM-Starterinnen jedoch noch mit einem ganz anderen Handicap: Ein Abszess im Kieferbereich und eine verschleppte Erkältung zwangen Astrid Ruckaberle in ärztliche Behandlung, und auch Sonja Bissinger hatte Probleme mit den Bronchien, so daß beide sogar den letzten Länderkampf gegen die Schweiz absagen mußten. "Zu 99 Prozent können wir sicher sein, daß beide bis zur WM wieder top-fit sind", ist Daum jedoch optimistisch. Um aber ganz auf Nummer sicher zu gehen, will der Bundestrainer am Wochenende noch einmal bei Astrid Ruckaberle im Training vorbeischauen und sich selbst ein Bild machen.

Und sollte es hart auf hart kommen, hätte er mit "Ersatz-Fahrerin" Sandra Schlosser, für die der diesjährige "Ausrutscher" kein Grund ist, die Karriere zu beenden, noch eine weitere Spitzenfahrerin im Rückhalt. Die Konkurrenz kommt bei den Frauen unter anderem aus dem WM-Gastgeberland: Martina Stepankova, die in Prerov auf den Heimvorteil baut, stellte noch vor wenigen Wochen beim Länderkampf Österreich-Schweiz-Tschechische Republik einen neuen Weltrekord auf. Sie hat ebenso wie die Schweizerin Daniela Keller, die auch schon eine Medaille in Malaysia gewonnen hat, eine hohe Punktzahl eingereicht. "Bei unseren Männern, sowohl im Einer als auch im Zweier, geht es bei der WM eigentlich nur darum, wer Gold und wer Silber gewinnt. Bei den Frauen hingegen heißt das Ziel, in die Medaillenränge zu fahren, und dabei darf man sich keinen Fehler erlauben." Grund für diese Situation ist nach Ansicht des Bundestrainers die sehr viel größere Breite und daraus resultierend stärkere Konkurrenz im Frauen-Kunstradsport.

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Vorne mit dabei: Deutsches Frauen-Paar hat Gold im Visier
Ähnlich wie im Einer der Frauen gestaltet sich die Situation auch im Zweier. Dort stellt der BDR mit den amtierenden Weltmeisterinnen Yvonne Jäger/Katja Schelshorn die absoluten Favoriten dieser Titelkämpfe. Die Tagesform wird entscheiden, ob auch das zweite deutsche Paar am Ende ganz oben stehen wird. "Die Newcomer im Team, Sandra Steegmüller/Kartin Ludwig, fahren in diesem Jahr auf Plazierung, mit einer Medaille wären wir hochzufrieden", gibt sich Daum realistisch. Er rechnet im Kampf um den Titel vor allem mit den Paaren aus Österreich, Portugal und der Tschechischen Republik.

Aber, daß deutsche Frauen-Paare für eine Überraschung gut sein können, haben ja insbesondere Jäger/Schelshorn im Vorjahr bewiesen, als sie bei ihrer ersten Weltmeisterschaft direkt den Titel gewannen. Jäger/Schelshorn traut der Computer-Spezialist Daum die Titelverteidigung in jedem Fall zu: "Beide haben während der gesamten Saison große Stabilität bewiesen und alle Qualifikationen locker gewonnen, sie können sich allerhöchstens nur selbst schlagen."

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Dominanz deutscher Männer im Kunstradsport
Sehr viel eindeutiger als im Frauen-Kunstradsport ist die Situation bei den Herren der Schöpfung. Ohne arrogant zu sein, kann man im BDR davon ausgehen, daß sowohl im Einer als auch im Zweier die volle Medaillenausbeute, also zwei Gold- und zwei Silbermedaillen, eingefahren werden.

Anders als bei den Paaren, wagt der Bundestrainer hinsichtlich der Verteilung der beiden Medaillen im Einer schon Prognosen: "Wenn Martin Rominger ohne Fehler durch sein Programm kommt, dürfte er nicht zu schlagen sein." Ausschlaggebend ist der höhere Schwierigkeitsgrad seines Programms. Im Gegensatz zum seinem Konkurrenten Jens Schmitt beherrscht Rominger den "Maute-Hüpfer" sicher, Schmitt diesen dagegen im Wettkampf nicht stabil. Auch den Sattel-Lenkerstand rückwärts zeigt Rominger im Gegensatz zu Schmitt in der Acht und nicht im Kreis, und das sind halt in der Endabrechnung die entscheidenden Vorteile des Tailfingers gegenüber dem Klein-Winternheimer. Der internationalen Konkurrenz dürfte bei der Vergabe der Medaillen wohl nur die Bronzemedaille bleiben. Ein schon "ewiges Duell" erwartet der Bundestrainer im Zweier der Männer. Ob Raaf/Roth oder Rauch/Rauch am Ende die Nase vorne haben, entscheidet die Tagesform.

Kurios: Seit Daums Amtsantritt 1995 streiten diese beiden Paare in gleichbleibender Besetzung um die "Kunstrad-Krone". Der Grund ist allerdings nicht so erfreulich, denn gerade im Zweier der Männer sind die Nachfolger auch in Deutschland dünn gesät. Zwei 18jährige junge Paare, die einmal die Nachfolge von Raaf/Roth und Rauch/Rauch antreten könnten, hat Daum jedoch schon im Visier. "Wir müssen diese Paare kontinuierlich aufbauen, damit die unvermeidbare Lücke dann schnell geschlossen werden kann", konzentriert sich seine Arbeit nicht nur auf die Betreuung von 12 Weltklasse-Athleten, sondern vor allem auch auf den deutschen Kunstradsport-Nachwuchs. Bis auf die konstanten "Männer-Paarungen" kann Daum, seitdem er das Amt 1995 von Heinz Pfeiffer übernommen hat, immerhin auf eine Umschichtung von 90 Prozent durch neue Fahrer zurückblicken. Für die Entwicklung der Disziplin Kunstradsport enorm wichtig, "denn eine so klassische Sportart wie das Kunstradfahren, die ähnlich wie das Turnen eine lange Aufbauzeit erfordert, verfügt nicht über einen so großen Zulauf wie zum Beispiel das Inline-Skaten", weiß Daum, der übrigens auch im eigenen Verein den Nachwuchs trainiert, um die Schwierigkeiten seiner Disziplin.

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Wichtig: Nachwuchsförderung und Medienpräsenz
In Sachen Medienpräsenz hofft der Hallenradsport nach guten Ansätzen in den vergangenen Jahren auf weitere Impulse. Die WM 1994 im eigenen Land in Saarbrücken mit einer Stunde TV-Übertragung und die gestiegene Resonanz bei Print- und Funkmedien bei den diesjährigen German-Masters-Veranstaltungen und bei der DM in Koblenz bewertet Daum positiv, weiß aber auch, daß der Hallenradsport in seiner Präsentation noch attraktiver werden muß. Einen Einsatz von Lichteffekten wie bei der DM in Koblenz verteidigt er, obwohl sich seine Schützlinge dadurch auch schon einmal in der Konzentration gestört fühlen. "Was nützt uns ein tolles Produkt, wenn es keiner haben will. Da müssen unsere Sportler noch professioneller mitziehen", setzt er sich für Maßnahmen zur besseren Präsentation ein.

Eines seiner speziellen Anliegen ist auch die schnellere und für Zuschauer einsichtigere Darstellung der Ergebnisse. So hat der Software-Spezialist Daum ein elektronisches Wertungs-System entwickelt, mit dem die Kampfrichter via Notebook ihre Wertung direkt auf die Anzeigentafel und auch direkt auf die Fernseh-Bildschirme übermitteln können. Im Hardware-Bereich wird Daums System durch den BDR unterstützt, der die Notebooks finanziert. Augenblicklich befindet sich die Entwicklung in der Realisierungsphase. Im kommenden Jahr soll das Programm, das Daum schon seit zehn Jahren in abgestufter Fassung nutzt, weiter getestet werden, um danach irgendwann weltweit zum Einsatz zu kommen.

Wie nur wenige andere Sportarten verfügt der Hallenradsport über extrem treue Fans, die auch Reisen in entfernte WM-Austragungsorte nicht scheuen und dort für eine hervorragende Atmosphäre sorgen. Auch in der Tschechischen Republik dürften zahlreiche Anhänger aus der "Kunstradsport-Familie" zu erwarten sein. Mit sechs Fahrzeugen und Bussen aus der Volkswagen-Flotte des BDR macht sich das Team am Dienstag, 17. November, auf den langen Weg. Dort bleiben den Sportlern noch zwei Tage zur Akklimatisierung, bevor der Höhepunkt des Hallenradsport-Jahres bei zu erwartender guter Stimmung beginnt. Platz für die Medaillen auf dem Rückweg sollten sie aber auf jeden Fall freihalten.

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Im Radball werden die Karten neu gemischt / Goldmedaille möglich
Ebenso unangefochten wie die Deutschen im Kunstradsport, agierten in den letzten Jahren die Schweizer im Radball. Peter Kern und Marcel Bosshart feierten 1997 mit dem vierten WM-Titel ihren Abschied vom Parkett, so daß in diesem Jahr die Karten erst wieder neu gemischt werden müssen. Vier Teams, nämlich Österreich, die Tschechische Republik, die Schweiz und Deutschland, zählt Bundestrainer Hans Krämer (Mainz) zum engen Favoritenkreis für Prerov. Persönlich favorisiert er die Österreicher, "die im Augenblick die vielleicht spielstärkste Mannschaft an den Start bringen. Sie haben die internationalen Turniere in diesem Jahr eindeutig dominiert". Während die Tschechen auf die große Erfahrung der Weltmeister von 1989, Berger/ Kratochvil, und auch ein bißchen auf den Heimvorteil bauen, geht die Schweiz mit einem sehr jungen Team an den Start, das sicher noch mit der nervlichen Belastung der ersten WM zu kämpfen haben dürfte.

Im deutschen Lager konnten sich die "endgültigen Nachfolger" der Brüder Jürgen und Werner King, die mit der Goldmedaille 1994 vor heimischem Publikum in Saarbrücken ihre Karriere beendeten, noch nicht durchsetzen. 1995 blieben die Brüder Andreas und Thomas Steinmeier ohne Medaille. 1996 gewannen die Lomuscio-Brüder Sandro und Michael bei ihre ersten WM-Teilnahme zwar direkt die Silbermedaille, konnten ihren "Erfolgsweg" danach jedoch nicht kontinuierlich fortsetzen. In Malaysia infizierte sich der Torwart Michael Lomuscio mit einem Virus und durfte eineinhalb Jahre nicht richtig trainieren. Die sportliche Karriere schien gefährdet, und erst eine lange und intensive Behandlung brachte in diesem Jahr Besserung. Im vergangenen Jahr in Winterthur waren es die Münsteraner Willi Sattler und Olaf Wille, die sich mit der "Holzmedaille" für Platz vier zufrieden geben mußten. Sie sind in diesem Jahr als Ersatz-Team dabei.

Die deutschen Farben vertreten in Prerov Jörg Latzel und Karsten Hormann von der RKB Wanderlust Hameln, die sich im DM-Finale mit 3:2 knapp gegen Wille/Sattler durchsetzten. Schon zweimal konnten die Hamelner als Ersatz-Team WM-Atmosphäre schnuppern. Ihre Stärken liegen vor allem in der Defensive. Im Schnitt konnten gegnerische Mannschaften in der Bundesliga nur zwei Tore pro Spiel gegen sie erzielen. "Jörg Latzel ist einer der erfahrensten und besten Spieler in der Bundesliga, und Karsten Hormann hat sich in den letzten Jahren unheimlich gesteigert. Sie spielen aus einer sicheren Deckung, und gerade das kann sich bei einer Weltmeisterschaft positiv auswirken", traut Krämer den beiden durchaus den WM-Titel zu. "Nach einer sehr guten Vorbereitung fahren wir optimistisch zur WM. Wir haben trainiert, um Erste zu werden."

Seit 1982 ist Hans Krämer inzwischen Bundestrainer der Radballer, und eigentlich propagiert er bereits seit Jahren seinen "Abschied auf Raten". Schon 1994, nach der Goldmedaille der "Kings", hätte er "Schluß" mit dem Trainerjob machen können, der ihn neben seinem Beruf als Personalrat bei der Bundeswehr mehr als 30 Wochenenden im Jahr kostet. "Aber ich will nicht Knall auf Fall aufhören, sondern erst dann, wenn unsere jungen Teams wieder den Anschluß an die Weltspitze geschafft haben." In Krofdorf, die in diesem Jahr das beste deutsche Team beim Europapokal stellten und bei der DM den dritten Platz belegten, sowie den beiden Aufsteiger-Teams aus Mainz-Hechtsheim und Großkoschen sieht Krämer junge Hoffnungsträger für die Zukunft. Seinen Abschied möchte der Mainzer, der in Wiesbaden ‘82 sein erstes WM-Team (Thomas und Andreas Steinmeier) betreute und zum Titel führte, auch ganz gerne in Deutschland feiern. Und deshalb soll die WM im Jahr 2000 in Böblingen voraussichtlich Schluß- und Höhepunkt seiner langen Trainer-Laufbahn werden.

Allgemeines
Die Hallenradsport-WM im Jahr 2000 finden vom 24. bis 26. November in Böblingen und damit zum 14mal seit 1930 in Deutschland statt. Ausrichter ist der RV Gärtringen. Mitte Oktober wurde im CongressCentrum Böblingen das Organisationskomitee für die Titelkämpfe gegründet. Neben dem Vorsitzenden, BDR-Präsident Manfred Böhmer, gehören dem OK neben örtlichen Vertretern von Seiten des BDR der 1. Vize-Präsident, Fritz Ramseier (Heßheim), Vize-Präsident Harry Bodmer (Herrenzimmern) und Hilmar Heßler (Wölfersheim) von der BDR-Geschäftsstelle an. Als Vertreter des Landesverbandes Württemberg wirkt BDR-Schatzmeister Harald Pfab (Ravenburg) im OK. Bodmer, viermal Weltmeister im Einer-Kunstfahren der Männer und seit 1997 Mitglied des BDR-Präsidiums, wird im Organisationskomitee seine großen persönlichen Erfahrungen in Sachen Hallenradsport einfließen lassen.

Ein halbes Jahrzehnt hatte der Weltrekord von Dieter Maute (346,20 Punkte) aus dem Jahr 1991 Bestand. Auf den Tag genau fünf Jahre danach erzielte der Tailfinger Martin Rominger bei den Deutschen Meisterschaften in Koblenz am 16. Oktober mit seiner Meisterkür und 346,30 Punkten einen neuen Weltrekord.

Das OK in Prerov bereitet zur Zeit gemeinsam mit der UCI ein Hallenradsport-Trainingslager für die Delegation aus Asien vor, das unmittelbar vor Beginn der WM (15.-18. November) durchgeführt werden soll. Bei dieser Fortbildung kommen auch Trainer aus den Top-Hallenradsport-Nationen Deutschland und Tschechische Republik zum Einsatz.

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Letzte Änderung: 02.04.03
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