WM-Vorschau
Elite Männer: Chancen im Zeitfahren -
BDR-Vize-Präsident Olaf Ludwig
erwartet spannendes WM-Rennen
Frankfurt/Main
(rad-press) Schon einmal stand ein deutscher Radsportler bei einer
Weltmeisterschaft im belgischen Zolder auf dem Siegerpodest. 1970 gewann der Kölner
Rolf Wolfshohl die Bronzemedaille bei den Querfeldein-Profis. Auch 2002 möchten
sich deutsche Radsportler bei den Titelkämpfen auf der Straße ganz vorne
platzieren. Die größten Chancen aus Sicht des BDR dürften dabei in den
Kategorien Elite Männer und Frauen bestehen.
Nahezu das
komplette Alphabet des Radsports ist im Kampf um die begehrten
Regenbogentriktos bei den Männern vertreten, sieht man einmal von Lance
Armstrong ab, der nach seinem vierten Sieg bei der Tour de France seine Saison
beendete. So klangvolle Namen wie Botero, Cipollini, Freire bis hin zu Van
Petegem und Zabel garantieren ein hochkarätiges Rennen. Nur wenige der
Weltklasse-Fahrer, sieht man vom verletzten Italiener Andrea Tafi, dem Niederländer
Erik Dekker oder dem gesperrten und sich noch in der Rehabilitation
befindenden Jan Ullrich ab, lassen in diesem Jahr den Kampf um die WM-Krone
aus. Grund: Die WM, in der Vergangenheit noch für viele nur ein lästiges
Saison-Anhängsel, hat sich in den letzten Jahren bei den Straßen-Profis mehr
Sympathie erobert.
Vor allem den
Sprintern unter den Top-Fahrern dürfte der von Experten als „relativ
einfach“ eingestufte Rundkurs entgegenkommen. Aber schon im Vorjahr wurden
die Experten, die angesichts des schwierigen Kurses in Lissabon mit 42
Anstiegen und mehr als 4000 Höhenmetern mit allem, aber nicht mit einer
Sprint-Entscheidung gerechnet hatten, eines Besseren belehrt. Und zunächst
gilt es erst einmal, die 262 Kilometer zu absolvieren, idealerweise bei
Sonnenschein, möglicherweise aber bei Sturm und Regen. „Es kann zu einer
Sprint-Entscheidung kommen, aber auch der Faktor Streckenlänge könnte am
Ende den Ausschlag zu einem Ausscheidungsrennen geben“, erwartet BDR-Vize-Präsident
Olaf Ludwig (Stolberg) am 13. Oktober auf jeden Fall ein „wahnsinnig
spannendes Rennen“.
Für den
Weltranglisten-Ersten Erik Zabel bietet der WM-Kurs in diesem Jahr die wohl größte
Chance auf einen WM-Titel. Im Vorjahr Überraschungs-Fünfter, spricht Zabel
schon seit Monaten von seinem großen Ziel Weltmeisterschaft. Ob er bei der
Vuelta, wo viele vergebens auf einen Etappensieg warteten, nur von sich
ablenken wollte, wird sich am 13. Oktober zeigen. „Egal ob Cipollini,
Freire, Gonzalez, McEwen oder Zabel – dies werden sicher die am meisten
beobachteten Fahrer im Feld sein. Sie werden sich kaum Ausreißversuche
leisten können“, erklärt Ludwig die schwierige Position der Favoriten.
Und wie in
den anderen internationalen Teams ist auch Zabel der „unumstrittene
Leader“ im BDR-Team. „Um einen Top-Mann im Finale in eine Spitzenposition
zu bringen, benötigt man auch eine Top-Mannschaft“, so Ludwig, „deshalb
haben wir zu seiner Unterstützung eine gute Mischung aus deutschen Straßenfahrern
nominiert, darunter auch die Team-Kollegen, mit denen Zabel bei den Rennen
erfolgreich zusammenarbeitet.” Neben Zabel hat der BDR mit Danilo Hondo
(Telekom), Sven Teutenberg (Phonak), zuletzt Etappen-Dritter bei der Vuelta,
und Olaf Pollack (Gerolsteiner) drei weitere Top-Sprinter im Kader, die bei
einem Massensprint aktiv werden könnten. Nachnominiert wurde Sebastian Lang
(Gerolsteiner), der vor allem zuletzt in der Rheinland-Pfalz-Rundfahrt mit
zwei Etappensiegen eine gute Form bewies. Jörg Jaksche befindet sich nach
seiner leichten Verletzung, die ihn zum Ausstieg bei der Vuelta zwang,
inzwischen wieder im Training. Abzuwarten bleibt auch, wie das letzte Weltcup-
Rennen am Wochenende (Paris-Tours) verlaufen, bei denen das Gros der deutschen
Fahrer noch einmal an den Start gehen wird. Zu Erinnerung: 2000 stürzte Jan
Ullrich bei Paris-Tours und musste seine WM-Teilnahme in letzter Minute noch
absagen.
Die stärkste
Konkurrenz erwartet Ludwig von den Italienern und Spaniern: „Die Italiener
haben ein passendes Team um ihren Top-Sprinter Mario Cipollini gebaut. Es
bleibt allerdings abzuwarten, ob sich die nominierten Fahrer am Ende einig
sind, den dreimaligen Vuelta-Etappensieger dieses Jahres auch in seinen
Weltmeister-Ambitionen zu unterstützen.“ Drei Mannschaftskollegen vom Team
Acqua e Sapone, darunter Ex-Telekomer Giovanni Lombardi, in diesem Jahr
Etappensieger bei Giro und Vuelta, werden „Cipo“ unterstützen. Allerdings
liegt der letzte italienische WM-Triumph zehn Jahre zurück (1992 gewann
Gianni Bugno) und in den letzten Jahren war es einem italienischen
Nationaltrainer nie gelungen, aus zwölf Individualisten eine Mannschaft zu
formen. Und ob ein Sprinter wie Allessandro Petacchi wirklich bereit wäre,
bei der WM für einen Cipollini zu fahren, bleibt ebenfalls abzuwarten.
Cipollini möchte seinen „kunstvoll inszenierten Rücktritt vom Rücktritt“,
den er nach der Nicht-Einladung seines Teams zur Tour de France im Frühjahr
verkündet hatte, mit einer WM-Medaille krönen und hat dafür nach eineinhalb
Wochen mit drei Etappensiegen die Vuelta verlassen, um sich gezielt auf die WM
vorzubereiten.
„Die
Spanier sind sicher durch die guten Resultate bei der Vuelta hochmotiviert und
wollen an die Erfolge von Oscar Freire, 1999 und 2001 Weltmeister sowie 2000
WM-Dritter, anknüpfen“, erweitert Ludwig die Liste der WM-Favoriten für
Zolder. Auch hier dürfte das Team auf den Weltmeister des letzten Jahres
ausgerichtet sein. „Vorausgesetzt, Oscar Freire bekommt seine Knieprobleme
bis zur WM in den Griff, zählt auch er zu den Favoriten.“ Ansonsten liegen
die Hoffnungen der Spanier im Straßenrennen, aber vor allem im Zeitfahren auf
dem Vuelta-Sieger Aitor Gonzalez.
Zu den
Favoriten im Falle einer Sprint-Ankunft zählt auch der Australier Robby
McEwen. Zuletzt siegte der Gewinner des Grünen Trikots bei der Tour de France
beim Circuit Franco-Belge, nachdem er bereits gleich zu Beginn der
Rheinland-Pfalz-Rundfahrt ausgestiegen war. Und mit Sprinter-Ass Stuart
O’Grady und Bradley McGee verfügt das australische Team in diesem Jahr über
eine insgesamt starke Mannschaft.
Die Niederländer
dürften nach der Absage von Erik Dekker nicht unbedingt zum engeren
Favoritenkreis zählen. Die Franzosen bieten neben Sprinter Jimmy Casper und
Zeitfahr-Spezialist Christophe Moreau auch Laurent Jalabert auf, der seine
letzte Saison fährt und immer für eine Überraschung gut sein kann. „Es hängt
ein bisschen davon ab, wie sich die Fahrer an die Team-Order halten. Alle
werden sich belauern, trotzdem ist es immer möglich, dass sich eine kleine
Gruppe davonmacht“, fordert Ludwig, dass die deutschen WM-Starter im Falle
eines Ausreißversuches schnell reagieren und mitfahren. „Wenn einer am Ende
mit der Spitzengruppe ins Ziel kommt, ist alles möglich“, hofft er auch bei
einem möglichen Ausscheidungsrennen auf gute Ergebnisse der deutschen
Starter.
Auf der Liste
der Fahrer, die ebenfalls in das Renngeschehen eingreifen können, dürfen –
nach schlechter Saison nur mit Außenseiter-Chancen - der belgische Sprinter
Tom Steels und der Weltmeister von 1996, Johan Musseuw (Belgien) nicht fehlen.
Der 37-Jährige, in diesem Jahr Sieger bei Paris-Roubaix und den
HEW-Cyclassics in Hamburg, führte bis vor kurzem noch die Weltcup-Rangliste
an und verfügt sicher über genügend Routine und den Riecher, um
entscheidend ins Renngeschehen eingreifen zu können. „Und darüber
hinaus“, so Olaf Ludwig, „tauchen bei jeder WM Fahrer auf, deren Trikot
man die ganze Saison über nicht sieht, und sorgen für eine Überraschung –
so wie der Slowene Hauptmann im vergangenen Jahr.“
Der Kurs wird von den Experten als
relativ leicht eingestuft und trotzdem dürfte das nicht der ausschlaggebende
Faktor sein. Zum einen „fliegen“ nach einer absolvierten Distanz von mehr
als 260 Kilometern auch die besten Sprinter nicht mehr so ohne weiteres über
die Ziellinie, zum anderen könnte auch das Wetter eine entscheidende Rolle
spielen. Während in Belgien noch spätsommerliche Temperaturen, könnten in
der kommenden Woche schon Regen und Wind den Rennverlauf entscheidend
beeinflussen. Die Spannung bleibt garantiert...
Wer
wird Nachfolger von Jan Ullrich als Weltmeister im Einzelzeitfahren? Bei der
Beantwortung dieser Frage möchten Uwe Peschel und Michael Rich gerne
mitreden. Mit den beiden Gerolsteinern hat der BDR im Einzelzeitfahren am 10.
Oktober zwei ganz heiße Eisen im Feuer. Beide stellten ihre Zeitfahrer-Qualitäten
in dieser Saison mehr als einmal unter Beweis - Uwe Peschel zuletzt als Sieger
beim Grand Prix des Nations in Frankreich - und gehören, so Olaf Ludwig, bei
der WM auf jeden Fall zu den Favoriten auf die Medaillen: „Der
flache schnelle Kurs dürfte Peschel und Rich sicher entgegenkommen.” Die
Betreuung der beiden wird komplett von Gerolsteiner übernommen. Neben dem
Sportlichen Leiter Hans Holczer werden auch die Mechaniker und
Physiotherapeuten des Teams zum Einsatz kommen.
Auf
internationaler Ebene ist vor allem mit dem Spanier Aitor Gonzalez, dem
Kolumbianer Santiago Botero, aber auch mit dem Ungarn Laszlo Bodrogi zu
rechnen. Aitor Gonzalez sicherte sich unter anderem mit zwei Siegen in den
beiden Einzelzeitfahren den Gesamtsieg bei der Vuelta. Botero, im Vorjahr
hinter Jan Ullrich und David Millar (Großbritannien) Bronzemedaillengewinner
im Einzelzeitfahren bei der WM in Lissabon, startet ebenfalls mit guten
Vuelta-Leistungen in diese WM. Das Duo Bodrogi/Cancellara konnte Ende August
das Mannschaftszeitfahren Grand Prix Eddy Merckx in Belgien gewinnen.